Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Korridors folgte.
Sie wusste, wie das Internet funktionierte, und kam auch sofort mit dem Computer zurecht. Arminda konnte daher schnell zu ihren Muscheln zurückkehren. Jacqueline verbrachte den Rest des Vormittags und auch am nächsten Morgen ein paar Stunden damit, zu telefonieren, im Web zu surfen und auf einer langen Liste die Dinge durchzustreichen, die sie erledigt hatte. Unter anderem stellte sie bei der Post einen Nachsendeantrag und überprüfte die zahlreichen Kontoauszüge. Marcel hatte sich nie um etwas gekümmert, und obwohl einiges etwas kniffelig war, kam Jacqueline gut voran. Nach zwei Tagen verließ sie das Arbeitszimmer mit einer deutlich kürzeren Liste. Jacqueline freute sich, dass sie einen großen Schritt in Richtung ihres neuen Lebens gegangen war, doch dieser Gedanke schüchterte sie gleichzeitig auch ein.
12
Am dritten Tag ging Jacqueline wie selbstverständlich in das Arbeitszimmer. Sie fühlte sich seit dem frühen Morgen wie benommen. Vermutlich lag es daran, dass sie mehrere Nächte furchtbar schlecht geschlafen hatte und eine Hitzewelle die Insel heimgesucht hatte. Sie schaltete den Computer ein, der aber nur kurz surrte, dann wurde der Monitor schwarz. Jacqueline versuchte noch einmal, ihn hochzufahren, doch vergebens. In dem kleinen Arbeitszimmer war es angenehm kühl. Daher beschloss sie, hier zu verweilen, anstatt auf die sonnige Terrasse oder in die Küche zurückzukehren, in der es immer nach Essen roch. Sie machte es sich auf dem Bürostuhl bequem und ließ die Zeit verstreichen.
Für jemanden, der seine Gedanken schweifen lassen wollte, bot Nanes Arbeitszimmer die ideale Kulisse. Das kleine Fenster ging auf einen Teil des Gartens hinter dem Haus hinaus, in den sich nie jemand verirrte. Das Fenster war seit Ewigkeiten nicht mehr geputzt worden, doch das machte nichts, denn die Übergardine war immer zugezogen. Durch den Spalt dieser Übergardine beobachtete Matthis sie manchmal, aber das wussten nur wir, die Schmetterlinge.
In diesem Raum erfuhr man eine Menge über Nane, denn überall stand irgendwelcher Nippes herum. Die Gegenstände waren nicht so ausgefallen und interessant wie in den anderen Räumen des Hauses, sondern schlichtweg scheußlich, wenn auch mit Sicherheit Hüter schöner Geschichten. Es hatte einige Zeit gedauert, bis Jacqueline begriff, dass Nanes Haus nicht einfach mit Dingen vollgestopft war, sondern mit Kunstwerken: Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, Möbeln, Fotos. Auch wenn alles so aussah, als stammte es aus einem Trödelladen, handelte es sich um Raritäten, deren Wert sie nach und nach erkannte. In dem Arbeitszimmer herrschte hingegen ein wüstes Durcheinander. An den Wänden hingen zum Beispiel Ansichtskarten. Jacqueline hatte in Erquy auch welche, aber ihre waren ganz gewöhnlich, wie man sie in allen Häusern findet. Nanes Ansichtskarten hingegen haftete etwas Exotisches an. Jacqueline entdeckte einen alten Bierhumpen, der sie an die Bierflaschen erinnerte, die sie in dem Kastenwagen entdeckt hatte. Trank Nane etwa heimlich? Auf jeden Fall schienen all diese Dinge ihre Geschichte zu haben, und Jacqueline hörte genau hin, was sie zu sagen hatten.
Niemand hätte ihr vorwerfen können, in dem Arbeitszimmer herumzustöbern. Es stand fast alles offen herum, und die Schubladen waren nicht abgeschlossen. Man brauchte nur so zu tun, als suche man einen Hefter, um ein Stück von Aleksanders Leben zu entdecken. AlsJacqueline nach einem Handbuch für den Computer Ausschau hielt, fand sie ein Liebespaar in Amalfi 1971. Jacqueline schaute sich in aller Ruhe um. Figuren aus Knetmasse und Zeichnungen »für Oma«, die die Zuneigung einiger Enkelkinder bekundeten, schmückten das Regal. Auf dem Kalender von letztem Jahr hinter der Tür waren fast genauso viele Heilige wie Freunde aufgezählt, die Nane zu sich eingeladen hatte. Auf der Ecke des Schreibtisches stand neben den Streichholzschachteln eines fernen Hotels eine kleine Skulptur – vermutlich unvollendet. Ein Gesicht aus Lehm und Pappmaché, ein junges Mädchen, das schlief. War es Nane? Jacqueline vergaß oft, dass Nane Bildhauerin war. Aber ihre Cousine nutzte das Atelier schon seit vielen Jahren nicht mehr. Plötzlich verspürte Jacqueline den Wunsch, sich das Atelier einmal anzusehen. Doch ehe sie diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, fiel ihr Blick auf die abgegriffenen, alten Fotoalben.
Sicherheitshalber ein kurzer Blick zum Fenster, und schon lag das mit rotem Stoff bezogene Album geöffnet
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