Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
was schon etwas riskanter war.
Mehrmals verspürte Jacqueline den Drang, aus der Villa Jolie Fleur zu verschwinden. Es war aber nur eine vage Idee, denn wo sollte sie auch hin? Und dann gab es diese Gewissheit, die sie hier festhielt: die innere Überzeugung, das Schicksal habe sie auf die Insel getrieben. Dieses Schicksal, das für sie niemals besonders originelle Dinge bereitgehalten hatte. Und wer weiß, vielleicht war es Nanes Nähe, die dafür sorgte, dass alles, was sie belastete, von ihr abfiel: Ängste, Schlaflosigkeit, Marcel, der Papierkram, der sich aufstapelte; Schwindel, der sie quälte oder den sie sich nur einbildete; das Geheimnis, das ihr auf die Insel gefolgt war, und dieser kalte Schatten, der über der Zukunft schwebte. Auch all diese Dinge schob Jacqueline mit der Gabel unter die Salatblätter.
Ob Nane Jacqueline wohl durchschaute? Jedenfalls sagte und tat sie nichts, was ihre Cousine von der Last befreit hätte. Doch es saß immer jemand am Tisch, dem nichts entging, und das wusste Jacqueline genau. Es war Arminda.
Seit fünf Tagen wohnte Jacqueline nun bei Nane im Gartenhaus. Sie achtete darauf, Arminda möglichst selten über den Weg zu laufen, war aber stets höflich und hilfsbereit. Die Portugiesin mit der roten Strähne blieb für Jacqueline eine Fremde. Im Gegensatz zu ihr gehörte Jacqueline trotz der sechsundfünfzig Jahre, die sie ihre Cousine nicht gesehen hatte, zur Familie. Sie hielt Arminda weniger für eine Person, die unrechtmäßigerweise ihren Platz eingenommen hatte, als vielmehr für jemanden, der sich nur vorübergehend hier aufhielt. Und in Armindas Augen verhielt es sich mit Jacqueline ebenso.
Jacqueline wusste nicht, dass Arminda verantwortlich für die bösen Blicke der alten Damen war. Die Fünfunddreißigjährige hatte seit fast siebzehn Jahren Erfahrungen als Haushaltshilfe bei älteren Leuten gesammelt, ganz zu schweigen von ihrer Kindheit als Immigrantin. Den bösen Blicken war sie schon als kleines Mädchen ausgesetzt gewesen. Aus diesem Spiel würde sicherlich nicht die dünne Cousine als Siegerin hervorgehen.
Eines Morgens kam Jacqueline mit ihrem Adressbuch und einem kleinen Ordner, den sie an die Brust presste, in die Küche. Nane war gerade dabei, einen Kuchenteig anzurühren, während Arminda ihr den Rücken zukehrte und Muscheln im Spülbecken säuberte. Jacqueline räusperte sich und fragte Nane leise, ob sie ihr Arbeitszimmer benutzen dürfe, um ihren Behördenkram zu erledigen.
»Aber natürlich, mein Kind«, sagte Nane. »Wir haben auch einen Computer. Soll Arminda dir zeigen, wie du ins Internet kommst?«
»Ich möchte nichts durcheinanderbringen ...«
»Das Risiko besteht nicht, denn in dem Arbeitszimmer herrscht das reinste Chaos. Überall liegt etwas herum. Wir haben fast die Hälfte ins Atelier geschafft, und trotzdem quillt dort alles über. Arminda zeigt es dir. Sie ist mit ihren Muscheln fast fertig. Setz dich doch so lange hin. Sitzplätze kosten hier auch nicht mehr. Haha.«
Jacqueline setzte sich auf die Stuhlkante und wartete. Sie schaute Nane zu, die ihren Teig knetete, während Arminda allen den Rücken zukehrte.
»Wo hast du die Muscheln gekauft, Arminda?«, fragte Nane plötzlich.
»In dem Fischgeschäft – wie immer.«
»Das gleich neben dem Hotel?«
»Ja sicher, wo wir immer hingehen.«
»Hast du Bruno gesehen?«
»Bruno?«, fragte Arminda, die eifrig die Muscheln säuberte.
»Ja, der junge Mann dort, der Große ... Ist ja nicht so, als ob es in der Fischhandlung wimmelt von jungen Männern. Kurze Haare, dicke Augenbrauen, erzählt immer irgendwelchen Quatsch.«
»Ach der. Ich wusste nicht mehr, dass er Bruno heißt.«
»Er weiß aber genau, wie du heißt. Immer wenn ich da einkaufe, fragt er nach dir.«
»Hm«, murmelte Arminda. Jacqueline fiel auf, dass Arminda seit Beginn des Gesprächs dieselbe Muschel putzte. Jetzt war sie mit Sicherheit sauber.
»Hast du nie bemerkt, dass er dir ständig Blicke zuwirft? Das sieht ja ein Blinder«, fügte Nane hinzu und beobachtete Arminda heimlich.
»Nee, hab ich nicht. Und wenn schon. Soll er mich doch anbaggern. Versuchen kann er’s ja. Meinetwegen kann er mir hinterherlaufen. Was soll’s ... So«, sagte sie und trocknete sich die Hände am Geschirrtuch ab. »Den Rest mach ich gleich. Jacqueline, kommen Sie.«
Arminda lief auf das Arbeitszimmer zu, und Nane schaute ihr misstrauisch hinterher.
»Kommen Sie, Jacqueline?«, rief Arminda, worauf Jacqueline ihr ans Ende des
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