Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
bitte gleich daran, dass ich noch Rucola kaufen muss?«
»Sie sind also die Cousine«, sagte Bruno und warf Jacqueline einen strahlenden Blick zu. »Sie machen Urlaub hier?«
»Ja«, erwiderte Jacqueline. »Die Insel ist sehr schön.«
»Es sind hundertfünfzig Gramm mehr. Ist das in Ordnung? Ich gebe Ihnen zwei Limonen dazu. Das passt gut zu dem Carpaccio. Ja, die Insel ist wunderschön. Hm, früher war sie noch schöner ... nun ja. Jetzt kommen die Touristen wenigstens nicht mehr mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad. Das ist besser. Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«
»Petersfischfilet für vier Personen. Nein, warten Sie, was rede ich denn. Wie viele sind wir morgen Abend? Fünf? Also für sechs Personen. Dann reicht es auf jeden Fall. Das ist alles.«
»Das macht insgesamt dreiundvierzig Euro und zwölf Cent, Madame Verbowitz«, sagte die Dame an der Kasse der Fischhandlung – eine ältere Frau in Nanes Alter.
»Ah.« Seufzend nahm Nane die Scheine aus dem Portemonnaie. »Ich habe meine Brille vergessen, Jacqueline. Schau doch bitte mal. Sind das zwei Euro oder einer? Ich kann sie nie unterscheiden.«
Während Jacqueline die Münzen in dem großen Portemonnaie suchte, wandte Bruno sich wieder Nane zu. »Und Arminda, wie geht es ihr?«, fragte er, bemüht umeinen neutralen Tonfall. »Sie war seit einer Ewigkeit nicht mehr hier.«
»Ach, Arminda, der geht es immer gut. Sie ist seit fünf Jahren bei mir und war nicht ein Mal krank. Nicht ein einziges Mal! Und darüber bin ich wirklich sehr froh, denn ich wüsste gar nicht, was ich ohne sie täte. Ich wäre vollkommen aufgeschmissen.«
»Es ist bestimmt nicht leicht, sich immer alleine um Matthis zu kümmern ... Sagen Sie Arminda doch, sie soll mal vorbeischauen. Würden Sie ihr das ausrichten?«
»Ja, richten Sie Arminda aus, sie soll Bruno mal guten Tag sagen.« Die alte Dame an der Kasse zwinkerte Nane zu.
»Ja, ich richte es aus. Auf Wiedersehen.«
Nanes Miene verfinsterte sich, nachdem sie die Fischhandlung verlassen hatten, was Jacqueline nicht entging.
Als die Körbe und die Einkaufstrolleys mit vielen Köstlichkeiten gefüllt waren, die Jacqueline niemals essen würde, kehrten die beiden Frauen nach Hause zurück. Jacqueline sah, dass Nane der Nachbarin kurz zuwinkte. Madame Tricot – eine große, dürre Frau mit einem langen, vertrockneten Gesicht – trug einen alten Herrenpullover, eine zu kurze Hose, eine Schürze, Socken und Scholl-Gesundheitspantoletten. Die Nachbarin lächelte und sah gar nicht so böse aus, auch wenn Jacqueline ihren Blick auf sich spürte, bis sie das Haus betraten. Und sogar als sie im Haus verschwunden waren, hätte Jacqueline schwören können, dass die Nachbarin ihren langen Hals reckte, um einen Blick hineinzuwerfen. Jacqueline konnte sie gut verstehen. Sie hätte auch gerne den Hals gereckt, um in Nanes Kopf zu schauen.
11
Mir entging nicht, dass Jacqueline sich bemühte, sich so gut wie möglich an die Gepflogenheiten in der Villa Jolie Fleur anzupassen. Die ersten Tage verbrachte sie in dem angenehm kühlen Gartenhaus. Sie las amerikanische Romane, dachte nicht an ihre Ehe und fürchtete sich vor den Essenszeiten. Die tägliche Qual der gemeinsamen Mahlzeiten war für Jacqueline eine Quelle beständiger Sorge. Es gelang ihr, sich dem Frühstück, das aus dicken Weißbrotscheiben mit sehr süßer Konfitüre bestand, zu entziehen, indem sie vorgab, mal richtig ausschlafen zu müssen. Zu Jacquelines großer Erleichterung gab es zum Mittagessen relativ leichte Salate. Ein paarmal machte es ihr sogar große Freude, mit den anderen Mittag zu essen. Aber das Abendessen, zu dem fremde Gäste eingeladen und kulinarische Köstlichkeiten serviert wurden, stellte für Jacqueline immer wieder eine entsetzliche Herausforderung dar.
Unter den ständig wechselnden Gästen, die Nane oft zum Abendessen einlud, war niemals jemand, den Jacqueline als normal bezeichnet hätte. Es waren immerKünstler, Menschen, die mehrere Sprachen beherrschten, Globetrotter, Universalgenies oder begnadete Erzähler. Oder alles auf einmal. Und falls sich ein Gast zufällig als ganz normal entpuppte, konnte er sich zumindest stolz seines ungewöhnlichen Appetits rühmen, was die Gastgeberin erfreute. Doch Jacqueline hatte nichts dergleichen vorzuweisen. Wenn sie bei diesen opulenten Abendessen besondere Fähigkeiten bewies, dann die, erstens vollkommen unbemerkt zu bleiben und zweitens, ihre Essensreste unter den Salatblättern zu verstecken,
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