Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
so, als hätte Jacqueline sich diesen Dämonen noch angenähert, und dabei hatte sie geglaubt, ihnen für immer entflohen zu sein.
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Am nächsten Tag war in Port-Joinville Markttag. Nane fuhr mit dem R5 in den Ort und bat ihre Cousine, sie zu begleiten. Jacqueline empfand es in der Regel als lästige Pflicht, Einkäufe zu erledigen. Doch dieses Mal genoss sie jede Minute. Sie stellte sich so viele Fragen über die Bewohner der Villa Jolie Fleur , und jetzt brauchte sie nur die Ohren zu spitzen. Je mehr sich ihre Einkaufskörbe füllten, desto gesprächiger wurden die Händler. Nachbarn, die sie auf dem Markt trafen, lieferten fehlende Informationen.
Bei einem Besuch beim Metzger, um die Zutaten für das »Porco Alentejana« (mit viel Paprika gewürzte, gebratene Koteletts) zu kaufen, eine Spezialität von Arminda, erfuhr sie, dass Arminda Portugiesin war. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie in Challans verbracht. Beim Kauf von Piri-Piri in der Feinkosthandlung Thibault hörte Jacqueline, dass Arminda vor fünf Jahren als Haushälterin bei Nane angefangen hatte. Zuerst nur stundenweise und dann Vollzeit, als Nane, die schon auf die achtzigzuging, ihr anbot, mit ihrem damals einem Jahr alten Sohn Matthis bei ihr einzuziehen. Sie war ganz vernarrt in den Kleinen, den sie hatte aufwachsen sehen. Nun wohnten sie zu dritt in dem Haus. Nane sah die beiden als ihre Familie an (eine Information, die sie beim Kauf von drei kleinen luftgetrockneten Würsten preisgab). Arminda und Nane liebten beide, aus ihrem Herzen keine Mördergrube zu machen (Meersalz), große Essensportionen (fünf Tafeln dunkle Schokolade aus Ecuador, 70% Kakaoanteil) und amerikanische Fernsehserien mit einer Vorliebe für CSI: Den Tätern auf der Spur und Desperate Housewives (gesalzene bretonische Butter und verschiedene reife Käsesorten). Arminda war geschieden (Äpfel), und Matthis fuhr ein paarmal im Jahr mit der Fähre nach Challans, um das Wochenende bei seinem Vater zu verbringen (Tomaten und Zwiebeln). Offenbar war der faule, verlogene Exmann keinen Pfifferling wert (Koriander, Zucchini, grüne Peperoni, Spargel, Kakao von van Houten, Tahiti-Vanille, Küchenrollen, Mülltüten und zweihundert Euro aus dem Geldautomaten). Nane wohnte seit dreißig Jahren in der Villa Jolie Fleur in der Rue de la Forge (Erdbeeren). Aleksander hatte es gebaut (Himbeeren), doch dem Armen blieb nicht mehr die Zeit, sich an dem neuen Haus zu erfreuen. Er starb in dem Sommer, nachdem es fertig war (Zitronen, Limonen). Nane, die nie wieder geheiratet hatte, führte dennoch ein zufriedenes Leben (eine Flasche Martini bianco und zwei Flaschen Sancerre). Außer drei Kindern, zwei Mädchen und einem Jungen, hatte sie sieben Enkelkinder und drei Urenkel (drei T-Shirts, Sandalen und vier Bermudashorts fürzehnjährige Kinder). Sie arbeitete seit vielen Jahren nicht mehr als Bildhauerin (ein Sonntagsstuten und drei Bauernbaguettes), aber das Atelier gab es noch. Doch sie wagte nicht mehr, es zu betreten, weil dort mittlerweile das totale Chaos herrschte (ein Parkschein).
Nachdem Nane Jacqueline den Weg zur Post gezeigt hatte, damit ihre Cousine eine DIN-A4-Versandtasche nach Benin schicken konnte (was Nanes Neugier weckte), gingen die beiden Frauen zur Poissonnerie du Port.
»Guten Tag«, sagte Nane, als sie das Fischgeschäft betrat. Jacqueline, die hinter Nane eintrat, grüßte ebenfalls, aber niemand hörte es.
»Wie geht es Ihnen, Madame Verbowitz?«, fragte der Fischhändler, ein junger Mann von knapp vierzig Jahren mit feinen Zügen, dessen Gesicht und Hände gerötet waren. Das viele Eis und die frühmorgendliche Kälte hatten deutliche Spuren hinterlassen. »Was kann ich denn für Sie tun?«
»Guten Tag, Bruno. Sagen Sie, sind heute frische Rotbrassen dabei?«, fragte Nane.
»Ja, und zwar ganz wunderbare. Schauen Sie nur. Sie müssen doch zugeben, dass sie schön sind, na?« Der Fischhändler zeigte auf den rosa schimmernden Fisch in dem Eis.
»Gut, dann nehme ich drei Pfund.«
»Ich gebe Ihnen Filet mit Haut – wie immer?«
»Ja, gerne. Meine Cousine ist gerade zu Besuch, und da dachte ich mir, wir essen heute Carpaccio. Das geht schnell.«
»Ah«, sagte Bruno, »das schmeckt lecker. Meine Exfrau hat das immer gemacht. Hm, ich trauere meiner Eheeigentlich nicht hinterher, aber das Carpaccio aus Rotbrassen mit Kräutern ... und Ingwer, nicht wahr?«
»Das will ich wohl meinen. Koriander, Schnittlauch, Rucola ... Ach, Jacqueline, erinnerst du mich
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