Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
Vom Netzwerk:
violetten Baumes im wörtlichen wie im übertragenen Sinne zu entfliehen. Apeliotes war immer glücklich, wenn ich seinen tiefgründigen Monologenlauschte, aber nur unter einer Bedingung: Ich durfte keine einzige Frage stellen.
    Eines Tages nahm er mich bis ans Ende der Landstraße mit, die nach Saint-Sauveur führte. Ich atmete die Hitze ein, die Mitte Juni herrschte, und er sprach mit mir über den Himmel. Apeliotes wusste, dass ich nicht auf den Kopf gefallen war und dass ich den Mond, die Sonne und die Sterne kannte. Er vertraute mir an, diese Myriaden von Sternen, die niemand zählen konnte, seien nur ein winziger Teil dessen, was die Nacht verbarg. Ich muss gestehen, dass der Himmel zu Apeliotes’ Lieblingsthemen gehörte. Daher hörte ich mitunter nur mit halbem Ohr zu und genoss mit fröhlichen Flügelschlägen die gute Luft der Insel. Doch plötzlich war meine Aufmerksamkeit geweckt. Apeliotes sprach über Paul, Marcels Freund aus Erquy.
    Er sagte, er wisse Dinge, die Zephyr, diesen vulgären Clown, niemals interessiert hätten, und Dinge, die rings um den Baum niemals erwähnt worden seien. Ich wollte ihn drängen weiterzuerzählen, doch ich wusste, dass Apeliotes verschwinden würde, wenn ich seinen Monolog unterbrach. Also flog ich mit ihm über die Felder bis zu der Rollbahn des kleinen Flugplatzes. Und nachdem er dem Piloten einer Cessna bei der Landung ein wenig unter die Arme gegriffen hatte, fuhr er fort.
    Apeliotes sprach mit mir über diese Supernovae, die Paul jeden Abend mit seinen Teleskopen suchte: riesige Sterne, die noch größer waren als die Sonne. Er erklärte mir, dass die Explosion einer Supernova mit ungeheurer Geschwindigkeit Materie in den Weltraum schleuderteund dass alles hier, die Insekten wie die Menschen, zum Teil aus Resten dieser toten Sterne bestand.
    Abend für Abend betrachtete Paul in seinem Observatorium den Himmel und betete, er möge wolkenlos sein. Der ehemalige Priester beobachtete den Himmel so intensiv, dass alles vor seinen Augen verschwamm. Denn er wusste mit neunundsiebzig Jahren genauso gut wie schon mit fünfundzwanzig, dass sich im Inneren seines alternden Körpers eine Supernova verbarg. Diesen riesigen Stern, der erloschen war, als noch kein Mensch auf Erden lebte, spürte er beben, leuchten und strahlen. War es Gott, fragte er nun die Zahlen, die die Astronomieprogramme errechnet hatten? War es Gott in diesen Millionen Punkten auf seinen Ausdrucken? War es Gott in den Teleskopen auf dem Dachboden seines kleinen Hauses? Oder war es etwas anderes?
    Und ohne mir weitere Hinweise zu geben, floh Apeliotes zum Horizont und ließ mich auf dem brennenden Asphalt der Landebahn im Stich. Während mir der Kopf von den Himmelskörpern schwirrte, kehrte ich hastig zu meinem Sommerflieder zurück. Nach den Besuchen bei Apeliotes versäumte ich es aber nie, die Milliarden Sterne zu betrachten, die das Erwachen der Nachtfalter ankündigten. Ich dachte an den alten Mann, der das Unmögliche auf dem Dachboden suchte. Und ich fand, dass Jacqueline, die glaubte, eine ganz durchschnittliche Frau zu sein, außergewöhnliche Freunde hatte.

14
    Das Ereignis des Tages war zweifellos die Ankunft des Distelfalters, der den Schlüssel zu einem großen Geheimnis präsentierte: Benin.
    Der Distelfalter aus der Familie der Edelfalter hatte die Geschichte von Notos, dem Südwind, gehört, der sie wiederum von einem Nachtfalter erfahren hatte. Der Distelfalter legte Wert auf eine gepflegte Sprache, und plötzlich wurden wir in die heiße Luft der herrlichen Landschaft getragen. Dann ging es weiter auf eine rote, staubige Straße, die sich unter dem blauen Himmel mit den orangeroten Streifen wie ein Band durch die grünen Täler schlängelte.
    »Glaubst du an die ewige Liebe? Heiraten und dann nach – sagen wir – fünfzig Jahren noch glücklich sein? Glaubst du daran?«, fragte Thibault, der auf seinem Motorrad saß und versuchte, seine Rastalocken unter den Helm zu stopfen.
    »Ich weiß nicht. Warum fragst du? Willst du eine philosophische Diskussion mit mir führen oder mich anbaggern?«, fragte Virginie, deren afrikanische Augen strahlten, ohne dass sie dabei lächelte.
    »Du bist doof. Steig auf. Ich sag es dir, wenn wir angekommen sind.«
    Er startete das Motorrad, und die einundzwanzigjährige Virginie schlang die Arme um Thibault, der zwei Jahre älter war. Sie fuhren durch das weite Land, das Thibault jedes Mal berauschte, wenn er es durchquerte. Drei Wochen. Erst vor drei

Weitere Kostenlose Bücher