Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
wie ein Regentropfen inmitten anderer Regentropfen auf einer Windschutzscheibe in der Nacht. Und dennoch hast du da die Energie von hundert Milliarden Sonnen und die Geschichte des Universums. Das ist das Geheimnis einer Supernova, verstehst du? Eine Galaxie, die eine andere verschlingt. All das spielt sich in einem gigantischen Maßstab ab, sodass die Planeten im Vergleich auf die Größe winzig kleiner Staubkörnchen schrumpfen. Zweihundertfünfzig Millionen Jahre später sehen wir sie als kleine Punkte leuchten und begreifen so das unendlich Große und unsere eigene Bedeutungslosigkeit ...«
»Siebzehn Kinder«, unterbrach Marcel ihn, der denselben Himmel betrachtete wie Paul. »Sie haben mir aus Benin geschrieben, dass sie Patin einer Schule ist. Von siebzehn Kindern! Siebzehn, verstehst du, Paul? Die Kinder hat sie mit Sicherheit glücklich gemacht. Aber sie hat es mir nie erzählt, Paul ... Und das geht schon seit einer Ewigkeit so. Es müssen fast dreißig Jahre sein. Sie hat es mir nie erzählt. Ich könnte verstehen, dass sie mir die Existenz eines anderen Mannes verschweigt. Das täte jede, aber warum hat sie mir die Kinder verschwiegen? Mir hätte es auch Spaß gemacht, Paulo, der Pate der Kleinen zu sein ...«
Marcel versagte die Stimme.
»Da lebt man seit fünfundfünfzig Jahren mit einer Frau unter einem Dach«, fuhr er fort, »und dann stellt man fest, dass man alleine ist – sie, ich, jeder mit seinen Geheimnissen, seinen Geschichten ... Fünfzig Jahre spricht man miteinander, und doch erzählt man sich niemals etwas wirklich Wichtiges. Tja. Leider ist es wohl so, dass man niemanden richtig kennt. Vielleicht kenne ich nicht einmal dich richtig, mein Paulo, hm?«, sagte Marcel und stieß ihn leicht mit dem Ellbogen in die Rippen.
»Ach, ich ... Nur die Jungen haben Geheimnisse«, log Paul und schaute zu, wie die Eiswürfel in seinem Moscatel gegeneinanderstießen.
Die beiden Männer setzten die Beobachtung des Universums fort. Irgendwo in der Unendlichkeit ließen gigantische Explosionen die Nacht erbeben. Aber wie viel Zeit würde vergehen, bis man das Licht sehen und den Lufthauch spüren konnte?
16
Paul erwachte mitten in der Nacht und richtete sich in seinem Bett auf. Das Knarren der Schlafzimmertür, die jemand zu öffnen versuchte, pochte in seinen Schläfen. Der Tag war noch fern, und er erkannte im Halbdunkel eine Silhouette. Instinktiv stand er auf. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass der Eindringling niemand anders als Marcel war.
»Du Idiot!«, rief Paul und bemühte sich, leise zu sprechen. »Da kriegt man ja einen Herzinfarkt, wenn du hier so hereinschleichst. Oder Renée wacht auf! Das wäre noch schlimmer. Was ist denn los?«
»Lass dich nicht stören. Ich bin gleich wieder weg«, erwiderte Marcel. »Ich wollte nur wissen, wo du deinen Straßenatlas aufbewahrst.«
»Meinen Straßenatlas ? Und das hat nicht bis morgen früh Zeit?«
»Sei doch leise! Du bist es, der Lärm macht! Mir ist da etwas eingefallen. Ich weiß nicht, ob es an deinen Geschichten über die Sterne und an der Tatsache liegt, dasswir nur winzige Staubkörnchen sind. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, aber ich habe einen Plan. Ich bin so aufgeregt, dass ich kein Auge zugemacht habe.«
»Okay«, knurrte Paul. »Pass auf. Der Straßenatlas liegt in dem ... dem ... Verdammt, wo habe ich ihn hingelegt? ... Er liegt im Geschirrschrank im Esszimmer unten. Gute Nacht.«
»Ich schwimme die Loire hinunter«, sagte Marcel.
»Na prima. Schlaf gut.«
»Paulo, ich habe gesagt, ich schwimme die Loire hinunter. Vom Mont Gerbier de Jonc bis zum Atlantik.«
»Schön, und ich sage dir, dass ich mich jetzt wieder hinlege und mir nicht einmal den Wecker stelle. Siehst du, auch ich habe abenteuerliche Pläne.«
»Man braucht sich nur einen Schwimmkörper aus Kunststoff zu bauen«, fuhr Marcel fort. »Ich habe einen Rucksack, den ich in eine Wagenplane wickeln kann, sodass er wasserdicht ist. Für den Schwimmkörper kann ich Badoitflaschen nehmen ...«
»Badoitflaschen??«
»Ja, ich habe intensiv über alles nachgedacht. Evian- oder Vittelflaschen kann ich nicht nehmen. Die gehen bei der geringsten Erschütterung kaputt.«
»Du hast intensiv über alles nachgedacht?«, unterbrach Paul ihn. »Du hast also intensiv über alles nachgedacht und um vier Uhr morgens verrätst du mir die Früchte deiner reiflichen Überlegungen und erzählst mir, dass es eine gute Idee ist, mit sechsundsiebzig Jahren
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