Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
die Loire auf Badoitflaschen hinunterzuschwimmen?«
»Nein, du greifst einfach ein Detail aus dem ganzenPlan heraus. Jetzt bist du sowieso wach. Es wird dir nicht gelingen, wieder einzuschlafen. Setz dich, dann erkläre ich dir alles. Du wirst sehen. Es ist aus verschiedenen Gründen ein hervorragender Plan.«
»Bist du verrückt? Renée schläft doch. Geh ins Observatorium. Ich zieh schnell eine Hose über und komme dann auch«, knurrte Paul, der im Dunkeln nach seiner Brille tastete.
Als die beiden Alten zwischen den Teleskopen saßen, begann Marcel sofort, seinen Plan zu erklären, und fuchtelte dabei wild mit den Händen in der Luft herum. Die Idee war ihm gestern Abend gekommen, was ihn keineswegs verwunderte. Schon als junger Mann hatte er diesen Plan gehabt, doch in den folgenden Jahren begrub das Leben ihn unter sich. Und dann dieser Schwächeanfall an dem Abend von Jacquelines Geburtstag. Er war dem Tod so nahe gewesen, dass er noch immer einen bitteren Nachgeschmack spürte. Plötzlich stand Marcel deutlich vor Augen, was er nicht getan hatte, was er hätte tun und sein sollen. Und in diesem ganzen Gewirr von Plänen gab es auch die Loire. Seit sechzig Jahren träumte er davon, der Held der Loire zu sein, und nun wollte er endlich die Gelegenheit ergreifen. Die Loire war nicht schiffbar, und er würde abwechselnd wandern und schwimmen. Eintausend Kilometer. Marcel schwamm seit dreißig Jahren in kaltem Wasser, und sein Entschluss stand unumstößlich fest.
Zunächst dachte er an ganz normales Schwimmen an Orten, wo es Strände gab und wo das Baden erlaubt war. Doch dann erinnerte er sich an seine ersten Erfahrungenmit der Sportart Hydrospeed im letzten Herbst, die ihn begeistert hatte. Hydrospeed, bei dem der Schwimmer mit Schwimmflossen und einem Schwimmkörper durch Flüsse schwimmt, verlangte eine ausgezeichnete körperliche Verfassung, aber kein spezielles Training. Marcel war so überzeugt von dem Plan, dass er nicht mehr einschlafen konnte. Als er in dem Gästebett lag, begriff er, dass alle Elemente zusammengefügt waren, damit er endlich die Heldentat vollbringen konnte, von der er seit einer Ewigkeit träumte. Er hatte Paul noch nicht alles gesagt und sparte sich das Beste für den Schluss auf.
Nachdem Paul sich eine Stunde lang Marcels Plan angehört und ihm seine technischen Fragen beantwortet hatte, kratzte er sich am Kopf und seufzte.
»Hör zu. Der Plan ist nicht schlecht und müsste sich, was die technische Seite angeht, realisieren lassen. Wenn man alle Vorbereitungen getroffen hat, könnte man in kleinen Flüssen hier in der Gegend trainieren. Es gibt auch Hydrospeed-Vereine. Da kann man sich ansehen, wie sie es machen. Es müsste sich realisieren lassen.«
»Oh nein, dazu habe ich keine Zeit. Ich breche Ende der Woche auf«, sagte Marcel.
»Warum denn so eilig?«
»Nun, du weißt doch, dass Jacqueline auf der Ile d’Yeu ist ...«
»Ja und ...?«
»Ja und! Denk doch mal an die Lage der Ile d’Yeu ... Wenn ich die Loire hinunterschwimme, geht es bis zum Atlantik sozusagen immer geradeaus«, sagte Marcel und zeichnete Zickzack-Linien in die Luft.
»Immer geradeaus, immer geradeaus ... Na ja, wenn du meinst. Also, wenn du deine Frau auf der Ile d’Yeu suchen willst, kannst du doch in Fromentine eine Fähre nehmen, und dann bist du in fünfundvierzig Minuten da ...«
»Und wo bleibt der Ruhm, Paulo, wo bleibt der Ruhm? Was meinst du?«
»Ich kann dir sicherlich helfen, den ganzen Kram vorzubereiten, aber was Frauen und Ruhm anbelangt, bist du bei mir an der falschen Adresse. Da fragst du besser Renée.«
»Nein, nein, das ist nicht nötig. Mein Entschluss steht fest.«
»Gut«, sagte Paul seufzend. »Ich frage mich allerdings, ob Colaflaschen nicht besser für den Schwimmkörper geeignet wären. Weißt du, diese Zwei-Liter-Flaschen ...«
17
Wie immer war das Wiener Nachtpfauenauge sehr wortkarg. Es blieb uns daher selbst überlassen, uns vorzustellen, was hier vor sich ging. Eine vage Ahnung hatten wir schon. Die Nachtfalter sprachen von einem Mann, der nachts in der Nähe des Hauses herumschlich.
Ein paar Worte zur Lage der Villa Jolie Fleur und der Nebengebäude: Das Atelier, das versteckt hinter dem Gartenhaus lag, war von keinem Fenster des Hauses aus zu sehen. Und da Jacqueline immer die Fensterläden geschlossen hatte, lief ein Eindringling kaum Gefahr, von ihr entdeckt zu werden.
Den Mann, um den es hier geht, habe ich selbst nicht gesehen, und die Informationen,
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