Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
passieren, das Ah und Oh, das Lachen, den Jazz. Wie schön sie war, Nane, die Braut, wie glücklich. Und so frei! Welch ein Kontrast zu Jacquelines Hochzeitsfotos, eingezwängt in ein antikes Spitzenkleid, erstarrt in einem malerischen Garten, schon verblasst inmitten der Plastikblumen. Ein Bild nach dem anderen erzählte die Geschichte dieser zwanglosen Hochzeit von Nane Darginay de Boislahire mit ihrem polnischen Maler, dem armen Schlucker, wie ein zu Herzen gehendes, fröhliches Märchen. Als dieNacht hereinbrach, strich der Zigarettenrauch über das Lächeln der jungen Frauen, die ihre Hüften schwangen, und über die leger gekleideten jungen Männer. Feierten sie nun in einem Jazzklub oder auf der belebten Terrasse eines Restaurants? Jacqueline lächelte. Sie war Lichtjahre vom Atelier entfernt.
Ihre Finger, die mit fieberhafter Ungeduld in den Fotokartons wühlten, erstarrten plötzlich beim Anblick eines Bildes. Barfuß und noch immer in ihrem Brautkleid schmiegte Nane sich in der Nacht an Aleksander. Die Pariser Straße wurde in ein eigentümliches, freundliches Licht getaucht. Nanes Kopf lag auf Aleksanders Schulter, und er hatte die Arme um sie geschlungen. Ihre Blicke trafen sich nicht, doch Jacqueline wusste, dass sie in diesem Augenblick allein sich selbst sahen. Vielleicht hatten sie sogar nicht einmal bemerkt, dass an dem ersten Tag vom Rest ihres Lebens die Morgendämmerung hereinbrach.
Es war fast so, als würde dieses glückliche Morgenrot das Atelier erhellen, dieses strahlende Glück, das das Herz derjenigen brach, die es niemals kennengelernt hatten. Dieses Privileg gelebter Freiheit, frei gewählter Liebe und der Erfüllung, zu lieben und geliebt zu werden, wie nahe schien es unter Jacquelines runzeligen Fingern zu sein. Im Licht der schmutzigen Deckenlampe betrachtete die alte Dame Nane eine ganze Weile. Schließlich legte Jacqueline ihr Gesicht auf die müde Braut, deren Lippenstift im Laufe der fröhlichen Feier längst verblasst war. Statt der pechschwarzen Strähnen waren es mit einem Male lange blonde Strähnen und ein durchscheinender Teint, der das glänzende Papier zum Leuchten brachte. Die Jazzmusiker spielten sanftere Melodien und gerieten bei romantischen Klängen außer Atem. Für Jacqueline erwachte ein neuer Tag, als sie mit nackten Füßen durch die Straßen von Paris spazierte. Aleksander an Nanes Arm verschwand hinter den verschwommenen Zügen des in Schwarz gekleideten Mannes auf dem Foto, das Jacqueline aus dem Album herausgelöst hatte. Er war es, sie war es, sie waren es, die es hätten sein sollen. Jacqueline spürte seinen Arm in ihrem, den berauschenden Duft seines Nackens, seine Hände auf ihren Schultern und die heißen Schauer, die ihr über den Rücken liefen.
Die Frau in dem rosafarbenen Morgenmantel, die inmitten der ausrangierten Möbel saß, flüchtete sich noch weiter in die herrlichen Illusionen hinein und betrachtete die bunten Fotos auf den schmutzigen Fenstern des Ateliers: die Landschaften am Ufer des Meeres, brillante Karrieren, Bürgersteige in New York und pausbäckige Babys. All dieses erträumte Glück, das sich tief unten in den Schuhkartons versteckte, hätte ihnen gehören müssen, denn sie hatten es niemals gelebt.
Vor unseren tausend Augen berauschte sich die alte Frau, die heimlich in das Atelier eingedrungen war, an den Fotos und ihren Fantasien. Wir wussten, dass das Leben ihr all das vorenthalten hatte, und fühlten tiefes Mitleid mit ihr.
18
Marcel musste einen Mittagsschlaf machen, um sich von der fast schlaflosen Nacht zu erholen. Als er mit Kopfschmerzen, steifen Gliedern und einem schmerzenden Rücken aufwachte, der gegen das Lotterleben rebellierte, fand er seine Idee längst nicht mehr so gut. Er hätte gerne mit Paul über seine Zweifel gesprochen, wenn dieser nicht am Küchentisch gesessen und schon mit den Vorbereitungen begonnen hätte. Mit einem kleinen Bleistift in der Hand beugte er sich über die Skizzen des Schwimmkörpers, die er auf eine Zwiebackschachtel gezeichnet hatte. Daher behielt Marcel seine Zweifel für sich und machte sich ebenfalls an die Arbeit.
Paul und Marcel brauchten sieben Tage für die Vorbereitungen. Während dieser Zeit diente Pauls Observatorium als Werkstatt für den Bau von Marcels Schwimmkörper. Das Modell bestand aus dem Schlauch eines Autoreifens, der zusammengeklappt wurde, sodass die Form eines Halbmonds entstand. Mit breiten Gummibändern, die sie ebenfalls aus einem Schlauch
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