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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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die ich aufschnappen konnte, waren recht unklar. Er war ziemlich groß und trug einen schwarzen Blouson. Ihn umschwebte ein Duft, der jeden verwirrte, der in seine Nähe kam – eine Mischung aus Blumen, Asphalt, Meer und Zigaretten. An dem kleinen Gartenzaun, wo wir Jacqueline zum ersten Mal gesehen hatten, lagen übrigens ein paar Kippen. Indiesem Haus rauchte niemand. Es musste ein Fremder sein, und ich wollte schnell herausfinden, warum er sich hier herumtrieb.
    Wir warteten in den Mauerrissen des Ateliers, wo die Pflanzen uns einen behaglichen Unterschlupf gewährten. Einige, die auf ihrem Efeu schliefen oder sich zu früh in Staub verwandelten, sahen nie die Nacht. Schließlich verblasste das letzte Licht der Abenddämmerung, und wir waren alle, die Tag- wie die Nachtfalter, ziemlich schläfrig, als uns ein bekannter Duft in die Saugrüssel stieg. Gleichzeitig leuchtete die Deckenlampe auf, und wir entdeckten verwundert den Grund für den bekannten Duft: ein rosafarbener Morgenmantel aus Satin. Es war natürlich Jacqueline. Von einem Mann gab es weit und breit keine Spur.
    Wir hatten die Nächte versäumt, in denen Jacqueline sich vorsichtig vortasten musste. Mittlerweile kannte sie den Weg zwischen den schmutzigen Möbeln, den aufgestapelten Kartons und den vollgestellten Tischen hindurch. Hatte ihr Herz genauso schnell geschlagen wie bei unserer Begegnung, als sie die Tür zum Atelier zum ersten Mal aufgestoßen hatte? Wir würden es niemals erfahren, aber an diesem Abend schlug es viel ruhiger, als man es bei einer solchen Schandtat vermutet hätte.
    Jacqueline war nämlich heimlich hier. Sie ging auf Zehenspitzen, bewegte sich leise und warf immer wieder verstohlene Blicke zur Tür und in die Dunkelheit. Es war Nacht, und alles wies darauf hin, dass Nane keine Ahnung hatte, was ihre Cousine trieb. Sie glaubte natürlich, Jacqueline würde um diese Zeit im Gartenhausschlafen, anstatt zwischen den Spinnweben herumzuschnüffeln.
    Schnurstracks ging sie auf einen kleinen, alten Küchenschrank aus weißem Kunststoff zu, dessen Türen nur noch halb in den zerbrochenen Angeln hingen. In den schmutzigen Fächern standen Dutzende von Schuhkartons, auf denen handbeschriebene Etiketten klebten: »New York 1962«, »Bau der Villa Jolie Fleur «, »Sommer 1976«, »Ausstellung in Paris« etc. Allein in diesen Schuhkartons mussten an die Tausend Fotos liegen. Und es gab bestimmt noch mehr. Auch auf dem Zwischengeschoss über Jacquelines Kopf, das mit einem Surfsegel bedeckt war, standen Kartons mit der Aufschrift »Fotos«.
    Jacqueline wählte aus dem Einbauschrank aus Kunststoff den Karton mit dem Etikett »Hochzeit N + A« aus, zog sich einen Campingstuhl heran, setzte sich und öffnete die Büchse der Pandora.
    Die Fotos mit den gezackten Rändern erzählten Geschichten, die nicht in den Alben erzählt wurden, aber sie sollten auch nicht vergessen werden. Jacqueline hatte das offizielle Hochzeitsfoto von Nane und Aleksander gesehen, das gut sichtbar im Salon stand. Nane, die Heldin in Schwarz-Weiß, ihr pechschwarzes Haar rund um einen kleinen Schleier gelockt, ein schlichtes Kleid, das ihren schlanken Körper betonte. Unbeschwert posierte das Brautpaar in seiner strahlenden Jugend auf den Treppen der Kirche.
    Das war 1955. Heute entdeckte Jacqueline die restlichen Fotos der Hochzeit, die zu besuchen ihre Mutter ihr verboten hatte. Nane war dreiundzwanzig, als sie ausdem Château de Montrie floh, weil ihre Adoptiveltern Cécile und Edmond Darginay de Boislahire ihr den Kontakt zu dem unverschämten blonden Zigeuner namens Aleksander, in den sie sich verliebt hatte, verboten hatten. Nane zog daraufhin dem Familienschloss ein zugiges Dienstbotenzimmer in Montmartre vor, womit sie sich die grenzenlose Verachtung ihrer Tante einhandelte. Niemand außer Nane selbst dokumentierte ihr weiteres Leben.
    Jacqueline erkannte die Kirche von Saint-Germain-des-Près wieder, die Cousinen und Cousins, die Mode der Fünfzigerjahre, die Weinflaschen im Kofferraum der mit Schleifen geschmückten Ente. Ein Foto zeigte die nicht mehr ganz so perfekt zurechtgemachte Braut mit einem Glas in der Hand am Ufer der Seine. Jetzt erinnerte Jacqueline sich wieder. Nach der Trauung hatten sie die Hochzeit mit einem Picknick an der Spitze der Ile de la Cité gefeiert. Die Füße im Wasser, die Jazzband, die Freunde, die ein wenig beschwipst waren, und im Hintergrund die Pont Neuf im Sonnenschein.
    Jacqueline ließ diesen traumhaften Tag Revue

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