Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
auch die Kinos am Kudamm waren ja von Bomben nicht verschont geblieben.
„Vielleicht haben wir ja das nächste Mal mehr Zeit“, meinte Hans-Peter hoffnungsvoll.
Westfilme sehen hatte neben der besonderen Unterhaltung eben auch was Symbolisches wie das Rauchen von Westzigaretten oder das Tragen von Westsachen, insbesondere Kreppschuhen. Es war bei allem nicht nur die wesentlich bessere Qualität, die zählte, sondern auch so etwas wie ein Bekenntnis, um das es ging und nicht nur für den, der rauchte oder Kreppschuhe trug. „Sie sollten aber keine solchen Schuhe und überhaupt Westsachen tragen“, hatte Hoffmann ihnen geraten. „Sie würden damit nur auffallen.“ Das leuchtete ein. Westfilme aber konnte man sehen und auch Westzigaretten rauchen, dort wo einen möglichst niemand kannte. Und so gaben die beiden sich in ihrem Raucherabteil diesem Genuß hin. Der Schaffner sog nur kurz die Luft ein als er die Tür zu ihrem Abteil aufgestoßen hatte, um die Fahrkarten zu kontrollieren.
39.
Die beiden wußten also, es war nicht mehr viel Zeit. So machten sie sich gleich am übernächsten Tag, einem Freitagnachmittag, auf den Weg nach Altenburg. Die Bahnfahrt würde sie über Leipzig führen. „Du fährst dann gleich weiter“, erklärte Sebastian seinem Freund. „Ich komme mit dem nächsten Zug nach.“
„Das lohnt sich doch gar nicht“, entgegnete Hans-Peter. „Wenn du bei deiner Dulcinea eintriffst, mußt du doch gleich wieder umkehren.“
Sebastian grinste nur. „Du mietest also in Altenburg im ersten Hotel, auf das du vom Bahnhof aus triffst, ein Doppelzimmer. Dort finde ich dich dann problemlos.“
„Na gut, wenn du meinst“, beschied Hans-Peter ironisch. „Aber wenn die kein Zimmer mehr frei haben?“
„Dann eben das nächste Hotel“, sagte Sebastian.
Es war Abend und bereits dämmerig, als sie in den Leipziger Hauptbahnhof einfuhren. Die Reihe der Kopfbahnsteige lag dort im diffusen Lampenlicht, das nur schwache Schatten warf. Gepäckkarren ratterten über den Bahnsteig, Waggontüren wurden aufgestoßen, Rufe hallten unter dem hohen gläsernen Gewölbe, Stimmengewirr, lautes Lachen ... Menschen trafen sich, alles lief durcheinander, Händeschütteln, Umarmungen.
Sebastian und Hans-Peter mit alten Aktentaschen in den Händen, in denen sie lediglich Waschzeug und Schlafanzug verstaut hatten, kamen an der Lok vorüber. Sebastian blieb stehen. Diese riesigen Loks faszinierten ihn. Wie es so da stand, das Ungetüm, leise schnaufend, zischend, atmend... Und im Führerstand hoch oben der Lokführer, der, mit den Armen ins Fenster gelehnt, dem Treiben auf dem Bahnsteig unter sich geruhsam zusah. Die Freunde trennten sich, Hans-Peter suchte seinen Bahnsteig für die Weiterfahrt. Sebastian verließ den Bahnhof und überquerte den weiten Vorplatz bis zur Straßenbahnhaltestelle.
Es war ein lauer Juniabend, am noch hellen Himmel standen einige rosa leuchtende Wolkenhaufen. Dämmerung stieg kaum merklich aus den umliegenden Straßenschluchten und gelblich glimmte bereits Licht in einigen Fenstern. Ein Stück konnte Sebastian mit der Straßenbahn fahren. Die Gutsmuthsstraße entlang mußte er laufen. Er sah auf seine Armbanduhr. Es war nach zwanzig Uhr, als er an der verschlossenen Haustür rüttelte. Kurz nach zweiundzwanzig Uhr ging sein Zug. Wenn ich gleich ins Haus komme, habe ich noch eine Stunde, überlegte er.
Was tun? Klingeln gab es am Tor zum Hof nicht. Also warten, bis jemand das Haus verläßt oder hinein will? Das kann dauern. Er sah sich um. Im Nebenhaus fiel Licht aus einigen Fenstern, die er erreichen konnte, wenn er sich auf die gemauerte Kellerfenstereinfassung stellte. Das tat er, streckte sich und so gelang es ihm, gegen eine Scheibe zu klopfen.
Eine Frau erschien am Fenster, öffnete es und Sebastian trat etwas zurück und entschuldigte sich für die Störung. „Ich muß ins Nebenhaus“, erklärte er, „zu Richters. Das Haus ist aber abgeschlossen.“
Der stark dialektgefärbten Antwort der Frau entnahm er nur bruchstückhaft etwas von einer Mauer und einem Jungen, dazu wies sie auf die Haustür.
Und so wartete Sebastian ein bißchen ratlos. Die Frau hatte doch ihre Haustür gemeint, oder ....? Er blickte etwas verunsichert zum wieder geschlossenen Fenster hinauf, als er aus den Augenwinkeln den Jungen sah. Der winkte ihm. Sebastian folgte auf einen engen, dunklen Hof und stand dann tatsächlich vor einer vielleicht zwei Meter hohen Mauer. Das müßte doch zu machen sein.
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