Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
der Tassen schufen etwas wie eine erwartungsvolle Atmosphäre, jedenfalls für Sebastian, der sich merklich entspannte. „Das wird mir gut tun“, erklärte er.
Christa lächelte. „Damit du im Zug nicht einschläfst“, sagte sie.
Sebastian saß behaglich in den Stuhl gelehnt am Tisch. Bläulich blickte tiefe Dämmerung durch die Fenster. Christa zog schließlich die Vorhänge zu und setzte sich zu ihm. Sebastian berichtete von zu Hause, vor allem von Luxi, dem Findelhund und von seinem großen Bruder, der sich das Klavierspielen selbst beigebracht hatte.
Ob er denn auch Klavier spielen könne, wollte Christa wissen.
Sebastian lachte. „Wo denkst du hin. So leicht ist das nicht. Ich hab’ auch keinerlei Interesse und wohl auch kein Talent.“
„Schade“, sagte sie.
Sebastian grinste und sang: „Man müßte Klavierspielen können, wer Klavier spielt hat Glück bei den Frauen...“
„Du wirst auch ohne das Glück haben“, sagte sie und wurde rot.
„Na, wenn du es sagst“, meinte Sebastian und lachte wieder. Ihm war klar, sie meinte das wirklich so. Eine scheue Liebeserklärung? Vielleicht die erste ihres Lebens? Und da überkam ihn dort am Tisch plötzlich ganz deutlich eine Vorstellung von der Gefahr, der er nachher in dieser Nacht noch entgegen fahren würde. Und wenn es gut geht? Ja, vielleicht dieses Mal. Wie lange aber geht ein Krug zum Brunnen? Er würde in den Westen abhauen, überlegte er, bevor der Krug zerbrach. Aber wann geht ein Krug das allerletzte Mal zum Brunnen oder als Kelch an einem vorbei? Sebastian schüttelte leicht den Kopf und sah auf die Uhr an der Wand. „Wenn ich bei dir auch ohne Klavierspiel Glück habe“, erklärte er, „dann komme ich bald wieder.“
„Bald“, fragte Christa und sah ihn an. „In einem halben Jahr oder noch später?“
„Bald“, entgegnete er, „sobald es sich irgendwie ergibt, sobald ich kann.“ Den Grund seiner Reise, das Ziel dieser Nachtfahrt, sie fragte ihn nicht danach. Er mußte nicht schwindeln. Ahnte sie vielleicht irgend etwas? Benahm er sich anders, fiel er auf? Er beobachtete sie, nein, das war es nicht.
Sie lachte nur, sah ihn spöttisch an und fragte: „Du kommst, sobald es sich ergibt oder so bald du kannst?“
Er grinste. „Sobald ich kann, natürlich.“ Schließlich ein erneuter Blick zur Uhr. „Schade“, sagte er, „aber ich muß los.“ Er schob den Stuhl zurück und stand auf. Auch Christa erhob sich und sah plötzlich traurig aus. Das war nicht gespielt, wurde ihm klar als er sie ansah, das war ehrlich. Sie tat ihm leid. Ein bißchen tat er sich dabei auch selbst leid und das überwog die Empfindung sich geschmeichelt zu fühlen. Es war doch Vertrauen, das sie ihm da entgegen brachte, und so nahm er sie einfach in den Arm, wie sie da neben ihm stand und sich ein klein wenig störrisch gab, legte eine Hand hinter ihren Kopf mit dem breiten Zopfansatz und drückte einen Kuß auf einen fest geschlossenen Mund, einen langen Kuß auf nachgebende Lippen. „So, das mußte sein“, sagte er und ließ sie los. Christa berührte mit der Hand ihren Mund, ihre geöffneten Lippen und sah ihn erstaunt an.
Er nickte. „Ja“, sagte er lächelnd, „es ist passiert, wirklich. War’s denn schlimm?“
Sie sah ihn weiterhin an und schüttelte entschieden den Kopf, trat einen Schritt auf ihn zu und verpaßte ihm nun ihrerseits einen Kuß.
„Das ist jetzt dein zweiter“, sagte er danach etwas überrascht.
Sie schüttelte wieder den Kopf. „Mein allererster!“
„Richtig“, bestätigte er, „stimmt. Den anderen habe ich dir ja gegeben.“
„Auch dein allererster?“ fragte sie, ein wenig Spott in den Augen.
„Nein“, sagte er lachend, „aber deinen allerersten, also, den werde ich so schnell nicht vergessen.“
„Ich auch nicht“, sagte sie ernst.
Was soll das alles, überlegte Sebastian, als er zur Straßenbahnhaltestelle ging. Draußen war es dunkel. Ein paar Gaslaternen verbreiteten in Abständen ein trübes Licht, wie es auch aus einigen Fenstern auf den Bürgersteig fiel. Sie könnten ihn schon morgen verhaften, aber vielleicht auch nicht, hoffentlich nicht … Also spätestens Ende nächsten Jahres würde er abhauen, das hatte er sich vorgenommen. Und im Westen könnte er auch wieder mit der Schule anfangen, zu alt wäre er dann noch nicht. Und Christa, sie wußte auch noch nicht, was sie machen würde, hatte sie ihm jedenfalls gesagt. Wünsche blieben da oft Wünsche. Es ging ja alles nach Plan im Osten.
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