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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Der Junge stand abwartend in kurzer Hose und barfuß im Hof, sichtlich neugierig. Sebastian zog sich die Jacke aus, gab sie dem Jungen und die Tasche dazu. „Halte mal“, sagte er, „wenn ich drüben bin, wirfst du beides rüber.“
    Der Junge nickte.
    Dann trat Sebastian entschlossen an die rauhverputzte Mauer, sprang aus dem Stand hoch, faßte mit beiden Händen die Mauerkrone, die zum Glück nur einen Ziegelstein breit war, so daß er rübergreifen und sich hochziehen konnte. Von dort sprang er dann in den Hof des Nebenhauses. Seine Tasche flog in hohem Bogen hinterher und klatschte auf die Zementplatten. Die Jacke konnte er aus der Luft fangen.
    „Vielen Dank“, rief er laut, zog sich die Jacke über und klopfte den Kalkstaub von der Hose. Schließlich fürchtete er nach dem verschlossenen Hoftor nun auch eine verschlossene Haustür vorzufinden. Doch diese ließ sich aufklinken.
    Christa war sprachlos, als Sebastian nach dem Öffnen der Wohnungstür vor ihr stand. Sie sah ihn entgeistert an. „Wo kommst du denn her?“
    „Vom Bahnhof“, sagte er und lachte. „Damit hast du wohl nicht gerechnet.“
    Sie schüttelte verblüfft den Kopf. Über ihrer Stirn kräuselten sich die Haare eines angedeuteten Ponys. Auch den dicken Zopf trug sie noch, registrierte er, als sie sich zur Zimmertür wandte. „Komm schon rein“, sagte sie.
    „Bist du alleine“, fragte Sebastian und sah sich im Zimmer um.
    „Mutti ist zu Besuch bei Bekannten.“
    „Ich bin auf der Durchfahrt“, sagte er und zeigte auf die runde Porzellanuhr an der Wand. „In einer Dreiviertelstunde muß ich wieder los. Mein Zug geht zweiundzwanzig Uhr zwölf.“
    „Was ist denn mit deiner Hose“, fragte Christa.
    Er sah im Licht der Deckenlampe an sich hinab und lachte. „Das Hoftor war doch zu“, erklärte er. „Ich mußte vom Nebenhaus aus über die Mauer.“
    „Warte“, sagte Christa, verschwand in der Küche und kam mit einem feuchten Tuch wieder. „So kannst du doch nachher nicht rausgehen“, dabei rubbelte sie mit dem Tuch an seiner Hose herum. „Vor allem die Knie“, sagte sie.
    „Natürlich“, entgegnete er, „ich mußte mich schließlich an der Mauer hochziehen.“
    „Das sieht man“, und nun lachte auch sie. „Aber so geht es jetzt“, und sie trat zurück, um ihr Werk zu betrachten. „Man sieht nichts mehr.“
    „Na prima“, lobte Sebastian.
    „Setz dich. Ich mach’ uns eine Tasse Kaffee”, sagte sie in nur leicht getöntem Sächsisch. Eigentlich sprach sie hochdeutsch wie ihre Mutter, doch manchmal ließ sich ein kaum merklicher Einschlag ins Heimatidiom nicht verleugnen. Wie unser Brikettpolnisch, sagte Sebastian sich, während Christa in der Küche wirtschaftete. Ist ja auch Hochdeutsch mit Anklang ans Berlinische und gespickt mit speziellen Begriffen.
    Viele mochten das Sächsische nicht. In den Ämtern der DDR saßen häufig Sachsen, nicht immer freundlich gestimmt wie etwa an der Berliner Sektorengrenze, zum Beispiel am Potsdamer Platz. Als er da einmal an der Ostseite die U-Bahntreppe herauf gekommen war, standen dort DDR-Grenzer, die ihn ansprachen: „Sie da! Gommse mal mit.“ Und Sebastian mußte die Treppe wieder hinab, vor denen her, in der Hand sein Reiseköfferchen, in dem er immer auch ‘Wie der Stahl gehärtet wurde’ von Nikolai Ostrowski mit sich schleppte. Die rührende Geschichte eines russischen Waisenjungen, der sich zum jugendlichen Revolutionshelden mauserte. Ein Buch, das ihm wie allen anderen bei der Schulabschlußfeier in die Hand gedrückt worden war. Jetzt tat es ihm gute Dienste. Durch eine Tür gleich unten an der Treppe ging es damals in einen fensterlosen, elektrisch beleuchteten Raum.
    „Öffnen Se den Goffer!“ Ein Grenzer wies auf einen Tisch.
    Sebastian legte sein Köfferchen darauf und öffnete es.
    „Häben Se die Sachen mal an.“
    Sebastian gehorchte und was er erwartet hatte, trat ein.
    Diese Art von Büchern kannten sie alle. Wer damit aus West-Berlin kam, der konnte ja auch ein aktiver Friedenskämpfer sein. Der Grenzer wandte sich ab und nickte Sebastian zu. „Se gönnen geh’n.“
    Köpenickiaden, die ihn stets amüsierten, wenn die angenommene Wirkung eintrat und das geschah meistens. Im Koffer trug er also neben seinem Schlafanzug immer auch einen Geßler-Hut in Gestalt solcher Bücher mit sich. Hoffmann würde womöglich sagen, man falle damit nur unnötig auf.
    Christa brachte Tassen aus der Küche und Kaffeeduft zog ins Zimmer. Dieser und das leise Klirren

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