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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Ganz anders, wenn sie selbst abhauen würde. Schließlich hatte sie ihren Vater dort im Westen, aber andererseits, erinnerte er sich, andererseits die Schwester in Leipzig mit einem Parteibonzen verheiratet. Er kannte auch das Verhältnis von Christas Mutter zu ihrem Mann im Westen nicht. Und wie stand Christa selbst dazu? Also zu ihrer älteren Schwester und zum Vater? Alles unklar. Er wußte es nicht. Und Christa allein im Westen? Vielleicht hätte sie Angst davor. Aber sie könnten sich ja dort treffen, eventuell blieb man in München oder doch besser in Berlin? Er wäre dann reichlich neunzehn und sie siebzehn.
    Schließlich schreckte ihn das kreischende und polternde Geräusch der heranfahrenden Straßenbahn auf. Er mußte rennen, um sie noch zu erwischen. Sie zu verpassen hieße vielleicht auch den Zug nicht mehr zu erreichen. Der nächste ging erst viele Stunden später. Moses würde sich in Altenburg Gedanken machen.
    Aber er erreichte den Zug, einen Personenzug, der sogar fast pünktlich fuhr, allerdings an jeder Milchkanne halten würde. Dieser späte Bummelzug war denn auch nur spärlich besetzt. Platz hatte er auf den gelb lasierten Holzbänken in einem schlecht erleuchteten Abteil genug. Die anderen Fahrgäste konnte er nur schwer erkennen, es war ihm auch egal, zumal die Beleuchtung im Waggon ständig aus- und wieder anging. Diese plötzlich aufflammende und dann ebenso plötzlich wieder verlöschende Beleuchtung störte ihn so, daß er bei einem Halt schließlich den Waggon wechselte.
    Im nachtschwarzen Fenster sah er sich dann nur selbst auf der Bank sitzen. Durch sein Ebenbild, das ihn ansah, zogen nur selten einzelne ferne Lichtpunkte dort draußen. Ab und an tauchten matt erleuchtete Bahnsteige aus der Nacht, an denen der Zug mit quietschenden Bremsen hielt, obwohl niemand ein- oder ausstieg. Fast gespenstisch, wenn dann auch noch der Mann mit der roten Mütze auf dem Bahnsteig in seine Trillerpfeife blies und die Kelle hob. Unwirklich also das Ganze und dann wieder nur das Rollgeräusch der Räder und das rasche Schlagen der Schienenstöße, deren Rhythmus sich immer wieder mal dehnte, wenn der Zug eine der vielen Langsamfahrstrecken passierte. Das ging bis zu regelrechten Schleichfahrten.
    Mit echter Sorge sah er dem nächsten Tag entgegen. Am Spätnachmittag könnten sie den Major treffen, möglicherweise auch erst am Abend. Sebastian sah wieder zum Fenster und erblickte in der schwarzen Scheibe immer nur sein Gesicht. Sah er besorgt aus? Nein, sagte er sich, das darf man auf keinen Fall merken. Mit wechselnden Taxen durch die DDR, das dürfte das größte Problem werden. Hoffmann stellte sich das so einfach vor. Man würde aber stundenlang unterwegs sein. Und den Berliner Ring, den könnten sie wegen der russischen Posten auf den entsprechenden S-Bahnsteigen auch nicht mit der Bahn überqueren. Vorher aus dem Taxi steigen und sich zu Fuß durch Nebenstraßen schmuggeln, nur so ginge das. Man wußte ja auch nicht, welche Figur dieser Major in Zivil abgeben würde. Hoffmann hatte davon keine richtige Vorstellung. Und die russischen Posten, die repräsentierten dort auf den Bahnsteigen und an den Straßen ja nicht nur ihre Besatzungsmacht, sondern fahndeten auch nach flüchtigen Rotarmisten. Dazu dann noch die Kontrollen der DDR-Grenzer, auch wenn der Major einen DDR-Paß vorweisen konnte...
    Die Zone ist also eine Sache, aber der Weg nach Berlin in die Stadt hinein eine ganz andere. Und wie gut spricht der Deutsch, dieser Major? Kein ganz unwichtiger Faktor, wenn man eventuell rasch entscheiden und schnell handeln mußte. Wie rasch verstand der einen dann? Das könnte, sagte Sebastian sich, überlebenswichtig sein.
    Der Zug rollte durch die Nacht diesem verrückten Unternehmen entgegen. Ausgerechnet ein Russe, überlegte Sebastian. Natürlich sollte man ihm, war er doch ein Gleichgesinnter, helfen. Ein Major der Roten Armee, der zum Klassenfeind überlief, das nahm man dem unter Genossen tödlich übel, ebenso den Fluchthelfern, auch wenn Hoffmann ihre Jugend für die beste Tarnung hielt. Ein großer zeitlicher Vorsprung: Das A und O dieser Flucht. Ehe die Russen etwas merkten und Ringsperren legten, müßten sie mit dem Major schon in Berlin sein. Aber auch dort könnten sie bereits auf der Lauer liegen. Doch es würde ja dunkel sein, wenn sie ankämen.
    Per West-Stadtplan, den sie bei sich hatten, mußte man dann Nebenstraßen finden. In Ost-Stadtplänen war West-Berlin terra incognita, eine

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