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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Passierscheine ausgibt. Und an der richtigen Ausgabestelle, da sitzt dann natürlich die Stasi, das ist klar. Denen erzählst du von deiner reuigen Schwester im Flüchtlingslager, wie wir das hier schon vortragen wollten.“
    „Ich gehe also am besten alleine da rein“, unterbrach Hans-Peter Sebastians Redefluß.
    „Klar, ist ja deine Schwester“, stimmte der zu, „und du der liebende Bruder, der ihr bei der Rückkehr helfen will. Ich würde dabei womöglich nur stören. Und zwei Passierscheine“, Sebastian wiegte den Kopf – „ich weiß nicht. Also du erzählst am besten gleich von deinen Eltern. Der Vater ganz alter Kommunist. Du selbst Oberschüler, legst denen deinen FDJ-Ausweis vor und sagst denen, daß du es nie verstanden hättest, wieso deine Schwester überhaupt zum Klassenfeind abhauen konnte und das auch noch bei dem Elend und der
    Arbeitslosigkeit da drüben oder so ähnlich. Du wirst ja sehen, wie die reagieren.“
    „Also gut, angenommen es klappt alles und ich kriege den Passierschein, dann gehe ich natürlich stracks zu Hoffmann.“
    „Na klar, erzähle Pi-Pa-Po wie wir’s gemacht haben, der wird sich amüsieren.“
    „Du tust ja schon so, als ob bereits alles geritzt ist.“
    „Ich denke schon. Diesem Angebot können die nicht widerstehen: Ein junger sozialistischer Patriot holt seine politisch verirrte Schwester zurück.“
    „Und wenn die fragen, wie ich nach Berlin gekommen bin, also wegen der Genehmigung? Ich kann denen doch nicht unsere Bescheinigung vorlegen.“
    „Na ja, das stimmt. Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß die danach fragen, wenn du’s richtig anstellst. Und das kannst du. Denk immer an den Hauptmann von Köpenick. Auf das Auftreten kommt’s an.“ Sebastian winkte schließlich ab. „Außerdem weiß da ja eine Hand oft nicht, was die andere tut. Und wenn die dich wirklich fragen sollten, stellst du dich dumm und machst ein ganz erstauntes Gesicht: Welche Bescheinigung? Du hast die Fahrkarte, sagst du, einfach so gekauft – und dann zeigst du sie denen. Eine Bescheinigung hat niemand von dir verlangt. Du hast davon auch gar nichts gewußt und dabei bleibst du.“
    „Du hast gut reden“, sagte Hans-Peter, „du mußt ja da nicht rein.“
    Sebastian grinste. „Wenn ich eine Schwester im Flüchtlingslager unter faschistischen Menschenhändlern hätte, ich würde keine Sekunde zögern.“
    „Quatsch nicht! Die Sache ist viel zu ernst, auch für dich.“
    „Ich weiß“, stimmte Sebastian zu, „aber was sollen wir sonst machen?“
    „Eine beschissene Lage“, stellte Hans-Peter fest.
    „Wir konnten ja nicht wissen“, versuchte Sebastian die prekäre Situation zu erklären, „daß die hier an den Grenzen verrückt spielen.“
    „Also los“, sagte Hans-Peter, „dann mache ich mich jetzt auf den Weg, meine Schwester braucht mich dringend. Sie bereut ihren unbedachten Schritt ganz schrecklich.“
    „Genau!“ Sebastian lachte und beide verließen das Lokal.
    „Komisch“, sagte Hans-Peter als sie auf der Straße standen, „jede Kneipe sieht hier immer so aus“, dazu wies er mit dem Daumen hinter sich, „wie der Wartesaal dritter Klasse in Senftenberg.“
    „HO oder Konsum, das persönliche Interesse fehlt. Die kriegen Gehalt und das ist es. Du mußt da ja nicht reingehen. Und in besseren Restaurants, die es ja auch gibt“, fuhr Sebastian fort, „da steht man vor der Tür wie in einer Lämmerherde vor dem Stall. Sie werden eingewiesen heißt es, auch wenn massenweise Tische frei sind. Warten, immer warten, auf alles mögliche warten ist die erste Bürgerpflicht. Ich denke, die haben nicht genügend anzubieten. Du kennst ja die Speisekarten, zwanzig Gerichte stehen drauf und zwei gibt’s dann.“

    Vom S-Bahnhof Treptower Park war man nach fünf Stationen bereits am Alexanderplatz. Von dort aus gelangten beide zu Fuß in die Keibelstraße. Da standen sie nun vor dem alten Klotz des Polizeipräsidiums. Zusammen gingen sie noch die breiten Stufen hinauf in eine Eingangshalle. Rechter Hand erkannten sie eine Reihe von Schalterfenstern, dort stellten sie sich an und machten sich leise Mut. Sie mußten entschieden auftreten. „Denk an den Köpenicker“, murmelte Sebastian.
    Hans-Peter nickte schon abgelenkt, denn vor ihnen wurde gerade der Schalter frei. Ein erfolg-loser Antragsteller ging verärgert davon. Hans-Peter trat an das Schalterfenster und schob seinen aufgeschlagenen Personalausweis ein Stück weit durch die Öffnung. „Meine

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