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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Bahnhofstreppe in Lübbenau, die da geredet haben, die keine Angst hatten, die diese Warnung in den Wind geschlagen haben, die wird man suchen bis man sie findet, wenn sie nicht rechtzeitig in den Westen getürmt sind.“
    „Stimmt, Angst muß sein hier im Osten. Und Vorsicht ist, wie es so schön heißt, die Mutter der Porzellankiste. Das müssen vor allem wir beherzigen.“
    Schließlich hatten sie den Scheitelpunkt des Anstiegs der Chaussee erreicht. Von dort oben ging es nur noch langgestreckt bergab und sie konnten, aufgerichtet im Sattel sitzend, die Räder laufen lassen. Erst weiter unten als die ersten Häuser auftauchten mußten sie wieder in die Pedalen treten, an der einstigen Tankstelle Opitz vorbei und gleich dahinter über die Schienen der Bahnstrecke. Die GEWOBA, jene langgestreckten zweistöckigen Flachbauten, blieben rechts liegen und auch der Lunapark, dann fuhren sie am Marktplatz mit der Kirche im Hintergrund vorbei. Schließlich dehnten sich weite Wiesen bis zum Bahndamm und von dort konnte man Sebastians Haus bereits liegen sehen.  

    44.

    Der Personenzug ging am Vormittag mit Anschluß in Lübbenau und von dort aus fuhr wieder nur ein Bummelzug. Eine langweilige Zuckelfahrt, meinte Hans-Peter, aber sie würden damit eben eher in Königswusterhausen sein als mit einem späteren D-Zug. Das war schon wichtig, wollten sie doch am Abend wieder zurückfahren. So bummelten sie also auf der Strecke nach Berlin von Dorf zu Dorf. Immer wieder quietschten die Bremsen aufdringlich und der Zug hielt. Hans-Peter und Sebastian stiegen schließlich aus lauter Langeweile an fast jeder Station aus, um sich die Beine zu vertreten.
    Irgend jemandem mußte das wohl aufgefallen sein. An einer Station stiegen zwei Bahnpolizisten in den anfahrenden Zug, ohne daß die beiden es bemerkt hätten. Der Waggon war gut besetzt. Ihnen gegenüber saß eine Familie und Sebastian spielte gerade mit der etwa fünfjährigen Tochter, als plötzlich zwei Blauuniformierte vor den beiden standen und Fahrkarte plus Reisegenehmigung sowie den Personalausweis verlangten.
    Wieso gerade wir, blitzte es Sebastian durch den Kopf. Die Genehmigung? Woher wissen die …? Er streichelte noch den Kopf der Kleinen, die vor ihm stand. Alles um ihn herum, jede Bewegung, sämtliche Geräusche wurden plötzlich langsam und leise. Das kleine Mädchen plapperte auf ihn ein. „Einen Augenblick“, hörte er sich dann selber sagen, und das Kind im blauen Sommerkleidchen tatschte ihm mehrmals mit der Hand aufs Knie. Sebastian versuchte zu lächeln, nahm die kleine Hand beiseite und sah zu Hans-Peter, der seine Fahrkarte aus der Tasche zog. Dann blickte er zu den Polizisten hoch, nickte ihnen kurz zu, drehte sich halb um und langte hoch in die Seitentasche seines Jacketts, das an einem Haken hinter ihm hing. Nur langsam, sagte er sich, nicht hektisch werden. Schließlich reichte er seine Fahrkarte plus Reisegenehmigung und Personalausweis einem der Polizisten, der andere hielt bereits Hans-Peters Fahrkarte und dessen Personalausweis in der Hand. Sebastian sah gespannt zu, wie sie die selbst gemachte Bescheinigung studierten. Lange schien es ihm, sehr lange lasen beide in dem falschem Dokument. Wenn die uns mitnehmen und vom nächsten Bahnhof aus die Bauunion anrufen … dann ade, du schöne Welt!
    Die beiden Vopos sahen sich schließlich kurz an, nickten kaum merklich und reichten den beiden die Fahrkarten mit der Bescheinigung und den Ausweisen zurück.
    „In Ordnung“, sagte der eine, „danke schön“ der andere. Beide tippten mit zwei Fingern gegen ihren Mützenschirm, wandten sich um und gingen durch das Abteil davon.
    „Mannomann“, murmelte Sebastian in Hans-Peters Ohr.
    „War die Probe aufs Exempel“, sagte der leise.
    Sebastian nickte. Das falsche Dokument hatte die Feuertaufe bestanden. Es mußte dann zu Hause schleunigst vernichtet werden. Hier hätte alles schon enden können. Und da war sie dann schon wieder, die Angst: Hinter Ihnen geht einer, hinter Ihnen steht einer, dreh’n Sie sich nicht um …
    Von den Mitreisenden im Abteil war dieser Vorgang nämlich ganz typisch zur Kenntnis genommen worden. Sebastian hatte noch aus den Augenwinkeln erkennen können wie die meisten die Köpfe einzogen, manche einfach spontan aus dem Fenster sahen und andere starr zu Boden schauten. Nur nicht hingucken! Leute, die eben noch miteinander geredet hatte, schwiegen nun plötzlich. Angst, permanente Angst, die wie ein Frosthauch durchs Abteil

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