Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Hans-Peter schließlich als er vor ihm stand, „schlaf nicht.“ Sebastian sah erstaunt auf. „Kein Passierschein?“ fragte er mit suchendem Blick.
„Doch, doch, wir haben die Stadtkasse!“ Und Hans-Peter hielt den erbeuteten Zettel in die Höhe.
„Mensch, ging das schnell“, Sebastian stieß sich mit dem Rücken von der Wand ab. „Haben die schon auf dich gewartet?“
„Das nicht gerade, aber ich muß überzeugend gewesen sein.“
„Was hast du denen denn erzählt“, wollte Sebastian wissen, als sie sich auf den Weg zur S-Bahn machten. Der Freund berichtete und beide amüsierten sich. Man muß nur dreist genug sein, waren sie sich einig, dann ist man glaubwürdig.
„Das hätte aber auch anders laufen können“, gab Sebastian zu bedenken.
„Ja natürlich, aber wenn du das alles schon vorher überlegst, fängst du gar nicht erst an.“
„Ich weiß, zuviel Vorsicht macht unsicher.“
„Klar, ich habe dort komischerweise das alles selbst geglaubt, was ich denen erzählt habe. Ich war in dem Moment überzeugt Irene dort aus dem Lager holen zu müssen. Da waren die Stasi und ich uns auf einmal völlig einig. Ist schon ulkig“, und er schüttelte den Kopf.
„So muß es Schauspielern gehen“, vermutete Sebastian, „wenn die ihre Rolle wirklich gut spielen.“
„Schauspieler, richtig. Ich habe auf einmal angefangen wie die Stasi zu denken, also Klassenfeind und so und Provokateure aus dem Westen. Ich habe die Sperrung plötzlich vollkommen verstanden und war überzeugt, daß Irene dort im Lager wirklich nichts zu suchen hat. Erst auf der Straße bin ich sozusagen wieder zu mir gekommen.“
„Na, nun beruhige dich erst mal. Wir haben einen Passierschein und du mußt rüber, das ist jetzt das Naheliegende und du wirst, hoffe ich, wieder zum Antikommunisten.“
„Na, wie könnte ich denn sonst Pi-Pa-Po unter die Augen treten?“
Sebastian wiegte den Kopf. „Da wärst du natürlich eine Riesenenttäuschung, aber auch für mich“, setzte er hinzu.
Hans-Peter lachte. „Darauf können wir’s natürlich nicht ankommen lassen.“
Die wenigen kontrollierten Übergänge nach Westberlin erwiesen sich als lange schmale Gänge, rechts und links mit Seilen abgegrenzt. Alle anderen Straßen in den Westen blieben abgesperrt. Vor so einem Übergang, zu dem sie sich durchgefragt hatten, boxte Sebastian dem Freund in die Seite. „Also los! Ab mit dir. Grüße Pi-Pa-Po und schildere ihm unsere Köpenickiade.“ Er beobachtete noch, wie Hans-Peter den Passierschein vorwies und sah dann, wie er auf der westlichen Seite ganz allein weiter ging. Was für ein Aufwand, um dort hinzukommen, sagte er sich und blickte in den Westen hinüber. Dann ging er gemächlich zurück zu dem Lokal, in dem sie noch kurz zuvor beraten hatten, was Hoffmann zu berichten wäre. Dort hatten sie ausgemacht, würden sie sich treffen, wenn Hans-Peter von drüben zurück käme. Dafür hatten sie etwa drei Stunden veranschlagt, eine lange Wartezeit. Die wichtigste Frage blieb allerdings offen, ob nämlich Hoffmann auch angetroffen werden würde. Wenn nicht, käme das Ganze einem herben Schlag ins Wasser gleich und aller Aufwand wäre umsonst gewesen. Aber in dieser spannenden Zeit, insbesondere auch für Berlin, beruhigte Sebastian sich, würde Hoffmann sich doch mit Sicherheit nicht woanders aufhalten.
Es war ein sehr warmer Tag und Geld für ein kühles Bier besaß er gerade noch, das er sich dann auch bestellte, nachdem er im überfüllten Lokal einen Platz mit Blick zur Tür gefunden hatte. Ihn wunderte der Betrieb. Die meisten Menschen, hauptsächlich Männer, steckten in irgendwelchen Arbeitsklamotten, nur wann und wo arbeiteten die?
„Entschuldigung, aber wo arbeiten Sie“, fragte er ganz ohne Umschweife und kurz entschlossen einen älteren Mann in Arbeitskluft am selben Tisch.
Der blickte ihn überrascht und mißtrauisch an. „Warum fragst du das?“
„Nur so“, sagte Sebastian, „ich wundere mich bloß über den Betrieb hier. Eigentlich ist doch jetzt Arbeitszeit.“
„Richtig“, bestätigte der Mann, „wenn es Arbeit gibt.“
„Ist denn nicht genug da?“
„Arbeit schon, bloß nicht genug Material.“
„Was arbeiten Sie denn, wenn man mal fragen darf?“
„Gießerei. Warum willst du das wissen?“
Sebastian wies mit der Hand in den Raum: „Ich wundere mich bloß, so viele Leute hier … und da gibt’s kein Material?“
„Richtig.“
„Wie denn das?“ Als Sebastian jedoch sah, daß sich wieder
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