Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Sebastian sah den Freund dahinter verschwinden. Viel Glück, dachte er. Wo Angst herrscht hat derjenige das Prä, der sie nicht zeigt, das wußten beide. Das sind eben Arschlöcher sagte Sebastian sich, so muß man das sehen und wenn man die sieht, diese A...löcher in ihrer aufgeblasenen Selbstherrlichkeit … Aber man könnte schon Angst kriegen, wenn man erkennt, wie leicht dieser freie Westen abzusperren ist. Hoffentlich tritt Moses richtig auf. Wir haben ja alles durchgesprochen. Wirklich alles? Sebastian trat hinaus auf die Straße, sah auf seine Armbanduhr und ging dann im Schatten des Gebäudes langsam auf und ab. Wenn die das nachprüfen, das mit der Schwester …, aber das stimmt ja. Doch wenn sie – Sebastian blieb stehen und starrte zu Boden – wenn sie in der Bauunion anrufen und den alten Sachse nach seiner Tochter fragen und ob er seinen Sohn nach Westberlin ins Flüchtlingslager geschickt hat … Unklar, was der dann sagen würde. Eine völlige, eine höchst gefährliche Pleite wäre das. Sebastian sah um sich, dann zum Eingang und wieder auf seine Uhr. Dann dürfte Hans-Peter mich hier gar nicht erwähnen. So würde es vielleicht nur eine mißverständliche Familienangelegenheit bleiben.
„Die dritte Tür rechts“ hatte der Posten zu Hans-Peter gesagt, der sich hinter der Glastür in einem langen, elektrisch beleuchteten Flur wiederfand. Viele Türen – an der dritten klopfte er. Undeutlich vernahm er eine Stimme und öffnete. Drei Zivilisten in mittleren Jahren empfingen ihn, zwei in dunklen Anzügen, einer in hellgrau. Stasi in Zivil registrierte er. Die drei Herren empfingen ihn freundlich. Wer durch das Raster in der Halle gelangt war, mußte wohl ein wenigstens anhörenswertes Anliegen haben.
Auch Hans-Peter grüßte lächelnd und ging auf die Herren zu, die ihm einen Stuhl vor einem Schreibtisch anboten, hinter den sich der im grauen Anzug setzte. Hans-Peter packte gleich seinen FDJ-, den GST- und seinen Personalausweis auf den Tisch. „Ich komme aus Großräschen“, stellte er sich vor. „Wir haben einen Hilferuf meiner Schwester erhalten, die sitzt in Westberlin in der Königsallee und möchte wieder zurück. Meine Eltern haben mich hergeschickt, um ihr bei der Rückkehr zu helfen. Mein Vater war als alter Genosse schon von ganz früher“, betonte er, „todunglücklich über meine Schwester. Wir haben aber nicht gewußt, daß man jetzt einen Passierschein braucht. Mein Vater hat ihr schon vor vierzehn Tagen geschrieben, daß ich ihr helfen komme. Moralische Unterstützung“, sagte er wieder lächelnd, „und natürlich ihr die Sachen tragen helfen“, appellierte er an die drei Herren. Die fühlten sich angesprochen, das erkannte Hans-Peter gleich. „Ich selbst“, fuhr er fort, „bin Oberschüler und finde auch, daß meine Schwester beim Klassenfeind nichts zu suchen hat. Sie muß schleunigst wieder zurück, besser heute als morgen“, trug er in überzeugendem Tone vor. Der Herr hinterm Schreibtisch nickte.
„Es ist natürlich klar“, erklärte Hans-Peter, „daß den Provokateuren aus dem Westen der Weg verstellt werden mußte …“
„Sie kriegen Ihren Passierschein“, unterbrach der Herr im grauen Anzug und sah dazu kurz seine Kollegen an, die neben Hans-Peters Stuhl am Fenster lehnten und ihrerseits zustimmend nickten.
„Mein Vater betritt ja Westberlin aus Prinzip nicht, aber meine Mutter war schon zweimal in der Königsallee.“
„Wie alt ist Ihre Schwester denn?“
„Dreiundzwanzig, ist nicht verheiratet und hat auch keinen festen Freund“, fügte Hans-Peter grinsend hinzu.
Über das Gesicht des Herrn hinterm Schreibtisch huschte ein verstecktes Lächeln. Er unterschrieb und stempelte einen vorgedruckten länglichen Zettel. „In Ordnung“, sagte er und schob Hans-Peter das Papier über den Tisch. „Damit können Sie Ihre Schwester holen. Viel Glück! Und wenn Sie morgen noch eine Bescheinigung brauchen sollten, kommen Sie einfach vorbei.“
Hans-Peter bedankte sich, faltete den Zettel, steckte ihn in die Seitentasche seines Jacketts und sah die Herren um sich herum freundlich an. „Ich denke“, sagte er, „das wird gar nicht nötig sein. Wir schaffen das auf einmal.“
„Um so besser.“ Der Herr hinterm Schreibtisch stand auf, reichte Hans-Peter die Hand und nickte ihm zu.
Als der suchend auf den Gehweg vor das Präsidium trat, erkannte er Sebastian am Ende des Gebäudekomplexes in sich versunken gegen die Wand gelehnt.
„He“, sagte
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