Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
verurteilt, weil er sich bei der Verhaftung mit einem Messer verteidigen wollte. Dabei war der auch gerade mal siebzehn.“
Hans-Peter steckte sein Messer weg. „Woher weißt du denn das?“
„Aus dem Radio.“
„Wie …“
„Na, RIAS natürlich. Denkst du, die bringen so was hier im Osten im Radio?“
„Ob das auch stimmt?“
„Warum nicht?“
„Weil das total absurd klingt.“
„Das klingt nicht bloß so, das ist absurd.“
Dabei gingen die beiden den Bahnsteig auf und ab. In einer halben Stunde sollte der Zug nach Leipzig eintreffen.
Sebastian schüttelte den Kopf. „Warum nimmst du bloß so’n Messer mit? Brot schneiden mußtest du doch nicht und zum Frühstück hatten wir ja jeder eins. Es sei denn, du brauchst es zum Fingernägel sauber machen“, fügte er grinsend hinzu. „Wenn die uns schnappen sollten“, erklärte er weiter, „sagen die, du warst bewaffnet. Das sind gleich ein paar Jahre mehr auf deinem Konto. Sag nichts dazu“, und Sebastian hob abwehrend die Hand. „Auch das hört sich schon wieder absurd an, ich weiß, aber so ist es nun mal. Überleg doch bloß, was wir gestern gemacht haben. Was war denn das schon für ‘ne Spionage? Das würde man uns aber als solche ankreiden. Eigentlich auch schon wieder absurd, wenn man sich’s genau besieht, und doch waren wir bereits nahe am Verfolgungswahn.“
„Na hör mal“, beschwerte Hans-Peter sich, „wenn du dort in der Kneipe erzählst, ‘ich bin ein Spion für den Westen’, dann erklärt das schon den Verfolgungswahn.“
„Kann man so sehen“, stimmte Sebastian zu. „Aber wo leben wir denn?“ Dabei sah er den Freund zweifelnd an.
Der zuckte die Schultern. „In Absurdistan eben …“
In Leipzig hatten sie knapp zwei Stunden Aufenthalt, zu wenig Zeit, um in der Stadt irgendwas zu unternehmen und zu viel, um nur herumzustehen. So einigten sie sich auf ein frühes Mittagessen im Mitropa-Bahnhofsrestaurant. Alles HO-Preise, aber Verpflegungsspesen standen ihnen schließlich zu. Dafür war es dann auch ein richtiges Restaurant, das sie betraten, nicht nur eine Art von Garküche wie in so vielen anderen Bahnhöfen. Es gab auch eine feste, aufklappbare Speisekarte und nicht bloß so einen Zettel.
Sebastian blieb bei einem Rinderbraten hängen, den es mit Pommes frites und Gemüse gab. „Wie spricht man das?“ fragte er Hans-Peter und wies mit dem Finger auf das Gericht. „P-o-m-m-e-s f-r-i-t-e-s“, las er laut und schüttelte den Kopf. „Weißt du, was das ist?“
„Nie gehört, P-o-m-m-e-s f-r-i-t-e-s, kenne ich nicht.“
„Ich bestelle das“, beschloß Sebastian.
Hans-Peter entschied sich vorsichtshalber für ein Gericht mit Kartoffeln. „P-o-m-m-e-s f-r-i-t-e-s, wer weiß was das ist?“
Als der Ober kam, bestellte Sebastian sich ein Bier und wies mit dem Finger auf das mysteriöse Gericht in der Speisekarte. Der Ober nickte und notierte.
Als auch Hans-Peter sein Kartoffelgericht bestellt und der Ober sich entfernt hatte, sagte er zu Sebastian: „Du hättest fragen sollen, was P-o-m-m-e-s f-r-i-t-e-s ist und nicht bloß mit dem Finger wie ein Stummer auf die Speisekarte zeigen.“
„Warum nicht? Der Ober hat’s doch verstanden. Warum soll ich mich blamieren?“ Als Sebastian seine Bestellung auf einem normalen Teller vorgesetzt bekam, erkannte er zwar Fleisch und Gemüse, aber diese hellen, vierkantigen Stäbchen, die dort, manche leicht angebräunt, aufgehäuft lagen, hatte er noch nie gesehen. Auch Hans-Peter beäugte neugierig Sebastians Teller.
„Probier’ ruhig mal“, sagte der und roch vorsichtig daran. „Riecht gut“, und er spießte so ein Stäbchen auf die Gabel, roch noch einmal daran und steckte sich’s schließlich in den Mund, kaute, schluckte und hob die Schultern. „Weiß nicht“, sagte er, „schmeckt aber gut.“
Auch Hans-Peter probierte, kaute auf den seltsamen Stäbchen herum und sagte nachdenklich: „Könnte was mit Kartoffeln sein.“
Darauf spießte Sebastian erneut ein Stäbchen auf, kaute andächtig und stimmte dem Freund zu: „Hast recht, wie gebratener Kartoffelbrei.“
„Genau. Schmeckt nicht schlecht, könnte ich mir bei Gelegenheit auch mal bestellen.“
„Du meinst, dem Ober auf der Speisekarte zeigen.“
Hans-Peter winkte ab. „Ich werde schon rauskriegen, wie man’s richtig spricht.“
In Berlin meldeten sie Hoffmann von „Drei Bären“ am Zoo aus telefonisch ihr Eintreffen. So blieb ihnen genug Zeit, den Bericht einschließlich aller vom
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