Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Markscheider kleinlaut zu.
Eddy nickte, der Baggerfahrer wiegte den Kopf und ein Maurer, der die ganze Zeit schweigend zugehört und zwei Lagen Cognac geschmissen hatte, stimmte dem Markscheider zu. „Is nicht zu verstehen“, sagte er, „wir haben hier doch ‘ne Menge Industrie und Arbeiter auch und viele fluchen, aber gerührt hat sich keiner. Die DDR stand Kopp, aber hier bei uns sind alle brav malochen gegangen. Wir alle hier“, fügte er hinzu.
Die Gemeinten ließen die Köpfe hängen.
„Aber was sollten wir denn als Einzelne machen?“ begehrte Eddy schließlich auf.
„Bleibt immer bloß ‘ne Ausrede“, winkte der Maurer ab. „Ihr schimpft auf die Amis, habt aber selber keinen Finger gerührt.“
„Ich denke schon“, sagte Richard, „daß dieser Aufstand ein geschichtlicher Einschnitt war.“
„Wie meinst’n das?“ fragte Eddy, „geschichtlich … Is’n das nich’ ‘n bissel ville?“
„Nee“, der Wirt schüttelte den Kopf, „überhaupt nicht. Die Leute haben jetzt erst kapiert, daß der Westen, der Ami, ihnen nicht helfen wird. Und der Iwan hat kapiert, daß Spitzbart und Genossen das Volk ganz und gar nicht hinter sich haben. Hier wird sich irgend so’n wackliger status quo einpendeln.“
„Status was?“ fragte Eddy.
„Na, so was wie’n Ausgleich. Aber der Traum vom Kommunismus, wenn’s den überhaupt gab, der ist nun wohl ausgeträumt. Jetzt geht’s bloß noch um Macht an sich, um die Fleischtöppe und ‘ne Menge werden sich ranhängen, aber auch viele in’n Knast wandern und immer mehr rübermachen in den Westen. Wo das am Ende mal hinführt …?“ Richard hob die Schultern.
Schließlich war es spät geworden, der Wirt hatte auf eigene Kappe ein gutes Geschäft gemacht und mahnte dann weit nach ein Uhr den Feierabend an.
Das verschworene Grüppchen hatte, gleichmäßig über alle verteilt, viel Geld ausgegeben, doch auch der teure Cognac hatte sie an diesem Abend nicht beschwingt und beschwichtigt. Ziemlich verstimmt verließen sie bei gelöschtem Licht das Lokal und jeder ging seines Weges.
Sebastian stand noch eine Weile und sah dem taumelnden Tanz der Nachtfalter um die Straßenlaternen zu. Sollte das wirklich ein geschichtlicher Einschnitt sein, dieser Aufstand der Bauarbeiter an der Stalinallee? War das nicht übertrieben? Wem galt dann das Menetekel? Doch nicht den Bauarbeitern wie dem nun eingesperrten Zimmermann … Nee, sagte er sich, die Parteibonzen und die Russen, die haben die Flammenschrift nicht lesen können, wenn es denn eine gab. Wie wird man das alles in fünfzig Jahren sehen?
Langsam ging er weiter über die Platten des Bürgersteigs, das Licht der Straßenlampen flimmerte durchs Laub der alten Ahornbäume und warf deren Schatten als verschwommenes Gewirre auf diese Platten. Ein lauer Nachtwind bewegte die Blätter und die Schatten am Boden. Aus dem finsteren Quader des Ledigenheims sahen ihn dann nur noch zwei erleuchtete Fenster an. Sein Elternhaus gegenüber lag völlig im Dunkeln. Ein weicher Lufthauch fuhr ihm ins Haar. Es ist alles schon Geschichte, überlegte er, alles im selben Moment vergangen.
50.
Sebastian hatte das Frühstück verschlafen. Zu Mittag gab es Bratkartoffeln, dazu Spiegeleier von eigenen Hühnern und Kopfsalat aus dem Garten. Danach war er im Herrenzimmer am hinteren Ende der Wohnung verschwunden und hatte sich dort mit einem Band aus Lenins gesammelten Werken in einen Sessel verkrümelt. Darin las er über die Kritik an Hegel und ärgerte sich dabei, wie Lenin sich Hegels philosophische Begriffe nach eigenem Gusto politisch zurechtbog, als es an der Wohnungstür klingelte und schließlich Totila grinsend im Zimmer stand und Sebastian noch ein wenig vergrübelt aufsah.
„He, hier bin ich“, sagte Totila und wedelte dazu einige Male mit der Hand.
„Mit deiner immensen Größe bist du auch nicht zu übersehen“, brummte Sebastian und bot dem Freund mit einladender Handbewegung einen Sessel an.
„Du beziehst deine richtige Einschätzung doch zweifelsohne auf meine geistige Größe.“
„Na sicher, völlig ohne Zweifel.“
„Was hast denn du da für’ne rote Schwarte am Wickel?“
„Rote Schwarte?“ Sebastian schlug das Buch zu und sah es an. „Rot, ja natürlich“, sagte er, „Lenins gesammelte Werke“, dazu legte er das Buch auf’s Rauchtischchen.
Totila ließ sich in den angebotenen Sessel fallen. „Damit verbringst du deine Wochenenden?“ und er wies mit einer Kopfbewegung auf Lenins
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