Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
erklärte Totila, „ich habe mir gar nicht vorstellen können, wie viele Russen da um Berlin herum stationiert sind. Wenn man das mitkriegt, weiß man, die richten sich auf hundert Jahre ein.“
„Na ja, nicht hundert Jahre, aber vielleicht bis zum nächsten Krieg.“
„Wer will das schon wissen? Ich hab’ jedenfalls ganz schön was zu tun für Hoffmann und es ist nicht ganz einfach das unter einen Hut zu kriegen mit dem Seminar. Schließlich sind die Anforderungen dort ganz was anderes als in Senftenberg, das kann ich dir sagen. Ich muß da wirklich ganz schön ackern.“
„Glaub’ ich dir gerne. Aber was ich doch noch fragen wollte, wie denkst du eigentlich über die Wirkung des Aufstands? Das hat ja, wie man so hört, die ganze DDR mobilisiert, nur in Großräschen hat sich wieder mal nichts getan. Hier hättest du denken können, nischt is passiert.“
Totila lachte. „Das wundert mich nicht“, sagte er.
„Aber wundern kann man sich schon darüber, wo man hier hingeraten ist.“
„Na, die Leute“, sagte Totila grinsend, „sind eben zufrieden in Großräschen und auf geradem Weg in den Kommunismus.“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Weiß der Teufel“, sagte er, „was hier für’n Menschenschlag haust, aber mal Spaß beiseite, glaubst du, daß das so was wie ‘ne geschichtliche Zäsur war?“
„Was soll ‘ne Zäsur sein?“
„Der Aufstand natürlich.“
„Ach das! Kann schon sein“, sagte Totila, „der Schock wird die Bonzen aber eher zum Terror treiben. Die werden jetzt Angst und Schrecken verbreiten, mehr als bisher, das glaube ich.“
„Richard in Drei Linden“, sagte Sebastian, „hat das als geschichtlichen Einschnitt, als Menetekel bezeichnet.“
„Na, wenn der das sagt.“ Totila grinste. „Aber das kann schon sein. Nur werden die das Menetekel nicht begreifen. Die werden glauben, sie müßten jetzt besonders hart draufschlagen. Einschüchtern, darum geht’s eben.“
„Da gebe ich dir recht“, stimmte Sebastian zu. „Aber nun mal was anderes: Du hast gesagt, du willst deinem Alten beichten.“
„Ja, natürlich, hab’ ich schon.“
„Donnerwetter, das hätte ich so schnell gar nicht erwartet. Und was hat er gesagt?“ Dazu richtete Sebastian sich auf und beugte sich aus seinem Sessel nach vorn.
„Er will diesen Hoffmann mal kennen lernen.“
„Und sonst?“
Totila hob die Schultern. „Ganz glücklich ist er nicht.“
„Mann, o Mann, das ist doch was. Also meine Mutter, denke ich, ahnt wahrscheinlich auch was. Ich glaube aber, sie will im Grunde gar nichts wissen und mein Alter ahnt nicht mal was. Aber dein Vater, daß der nicht ganz glücklich ist, das kann ich verstehen. Jedenfalls weiß er jetzt Bescheid.“ Sebastian lehnte sich wieder im Sessel zurück. „Ich hatte Hoffmann schon mal von deinem Vater erzählt.“
Totila nickte. „Der hat mich auch danach gefragt.“
„Also dann schicken wir“, sagte Sebastian, „eine offene Ansichtskarte von Großräschen nach Westberlin und schmuggeln in den Text das Datum, an dem wir mit deinem Vater dort aufkreuzen. Hoffmann weiß dann schon, wo. Und wir könnten das vielleicht mit ‘ner Dienstreise deines Alten zum Konsistorium verbinden. Das wäre sicher am unauffälligsten, schließlich fährt er ja öfter mal dorthin.“
„Dann macht das mal“, sagte Totila, „ich will mich ‘n bissel raushalten, aber sprecht erst mit meinem Alten über alles, der will nämlich auch mit euch reden.“
„Ja klar. Sag ihm, uns ist gegen Abend jeder Termin recht.“
Na, morgen ist doch Sonntag“, meinte Totila, „das würde schon passen so gegen Abend. Ich gehe derweilen ins Kino.“
„Willst du nicht mit dabei sein?“ Sebastian sah den Freund verwundert an.
Der schüttelte den Kopf. „Ich will mich da erst mal raushalten.“
„Ist denn dein Alter deswegen sauer?“
„Nein, nein, so ist es nicht …“
„Hätt’ ich mir eigentlich auch gar nicht vorstellen können“, warf Sebastian ein. „Also ich meine, wir werden so gegen acht Uhr kommen.“
„Gut“, sagte Totila, „er will von euch auch nur einiges wissen“, fuhr er fort. „Schließlich habt ihr ja die Verbindungen und du bist sozusagen der Anführer.“
„Anführer gibt’s hier doch nicht.“
„Dann eben der Initiator.“
„Sag das nicht, die Stasi würde gleich einen Rädelsführer daraus machen.“
„Das ist sicher“, bestätigte Totila lachend, „so sicher“, sagte er …
„… wie das Amen in der Kirche“, ergänzte
Weitere Kostenlose Bücher