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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Werke.
    „Ich hab’ sie gesammelt da, hier geht’s auch um Hegel. Man muß doch wissen, woher die ihren Größenwahn beziehen.“
    „Schon richtig, aber ist das nicht ein bissel anstrengend? Zum einen Lenin und dann dazu Hegels berühmt- berüchtigte Schachtelsätze.“
    „Finde ich gar nicht. Mich ärgert nur, wie Lenin Hegels philosophische Begriffe dermaßen verdreht und verflacht, daß sie scheinbar in sein Weltbild passen. Vom Kopf auf die Füße stellen nennt der das.“
    „Auf’s Prokustesbett spannen“, meinte Totila.
    „Das ist eher richtig“, bestätigte Sebastian. „Aber nun mal zu dir“, wandte er sich an den Freund, „wie geht’s dir denn jetzt in Hermannswerder, so als kirchlicher Oberseminarist? Hat denn das vom Stoff her noch was mit unserer Oberschule hier zu tun?“
    „Nur wenig. Ich hab’ jetzt noch knapp vier Jahre und in Senftenberg hätte ich schon im Herbst das Abi in der Tasche gehabt.“
    „Wieso noch so lange, vier Jahre?“
    „Ich mußte noch mal ganz unten anfangen, in der Latina. Ich bin da zwar reingerutscht, weil ich ja schon über zwei Jahre Latein hatte, aber in die Grecca konnte ich natürlich nicht, wegen des Altgriechischen. Und dann die Hebräica und schließlich die Philosophica. Vier Jahre“, und er nickte dazu, „‘ne lange Zeit.“
    „Sag mal“, fragte Sebastian, „könnte ich da nicht auch anfangen?“
    „Theoretisch schon“, antwortete Totila, „aber praktisch“, sagte er, „nicht konfirmiert, und dann müßtest du noch Pfarrer werden“, dazu grinste er.
    „Und dann wäre ich ja vielleicht auch zu alt?“
    „Nö, das nicht“, sagte Totila, „ich bin ja auch nicht zu alt.“
    „Aber Latein, ich hab’ doch nie Latein gehabt.“
    „Na, die fangen doch alle an, die wenigsten hatten schon mal Latein.“
    „Aber muß man dann unbedingt Pfarrer werden?“
    „Eigentlich ja, die Kirche finanziert ja das Ganze.“
    „Aber du hattest doch am Pfarrerberuf auch kein Interesse“, warf Sebastian ein.
    „Tja, was soll ich machen?“
    „Na, nach Westberlin abhauen. Kein Problem für dich, finde ich. Du hast ja deine Mutter dort.“
    „Laß mal“, winkte Totila ab, „das sind alles so familiäre Probleme.“
    „Na gut. Aber was sagst du denn nun zum Aufstand? Das ging doch in Berlin in der Stalinallee los. Warst du eigentlich dort?“
    „Klar, aber nicht am 16., da ging’s nämlich schon los, und da hatte ich erst im Radio davon gehört. Im Seminar fiel der Unterricht aus. Am 17. war ich dann am Potsdamer Platz, auch Unter den Linden in der Marschkolonne und dann am Brandenburger Tor.“
    „Da hast du ja die Panzer mitgekriegt.“
    „Na klar. Ich hab’ denen auch Pflastersteine gegen den Turm geknallt.“
    „Mann, toll!“ staunte Sebastian. „Wir sind bloß bis Lübbenau gekommen, Moses und ich. Da haben die Dampf abgelassen, also Lokführer und Heizer. Die haben den Zug einfach stehen lassen. Streik, hieß es dazu. Und dann sind die ganzen Bahner mit Transparenten losmarschiert, vorneweg auch die aus dem Ausbesserungswerk. Und wir gleich da ganz vorne mit durch Lübbenau. Und wieder am Bahnhof waren’s einige Tausend Lübbenauer und Spreewaldbesucher. Als dann die Russen anrückten hatten wir Glück und konnten uns auf einem Firmen-LKW nach Räschen absetzen. Züge fuhren ja nicht mehr. Aber geschossen haben die Iwans in Lübbenau nicht.“
    „Also in Berlin“, ließ Totila sich hören, „da haben die mit MGs von den Panzern aus direkt in die Häuserfronten geballert, das habe ich selbst gesehen.“
    „Die sollen ja auch mitten in die Demonstranten geschossen haben“, sagte Sebastian.
    „Habe ich auch gehört“, bestätigte Totila. „Es gab Tote, aber das hab’ ich nicht direkt mitgekriegt. Es waren ja Menschenmassen da und alle rannten dann in Richtung Westen. Ich hab’ mich auch irgendwann in Westberlin wiedergefunden.“
    „Da hättest du ja gleich mal Hoffmann anrufen können.“
    „Weshalb sollte ich? Wir hatten da ja kein Treffen verabredet.“
    „Richtig“, meinte Sebastian, „aber am nächsten Tag kam schon keiner mehr rüber, oder?“
    „Stimmt“, bestätigte Totila, „bloß am nächsten Tag noch nicht, erst einige Tage später.“
    „Und wie steht’s denn mit dir und Hoffmann?“
    Totila lachte. „Du weißt doch“, sagte er, „Schweigen ist Gold. Außerdem wirst ja du selbst dich damit auch nicht belasten wollen.“
    Sebastian nickte. „Ich will dich auch gar nicht ausfragen.“
    „Nur so viel“,

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