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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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das Lokal, andere folgten und bevor die letzten um viertel nach elf sich auf den Weg machten, verkrümelten sich die Mitglieder der „geschlossenen Gesellschaft“ nach und nach in Richards Küche und kamen erst wieder zum Vorschein, als auch der letzte offizielle Gast gegangen war und Richard laut: „Rein Schiff“ gerufen hatte.
    Während Sebastian mit dem Häuflein von vier Leuten in der Küche gewartet hatte, verwunderte ihn deren geringe Zahl. Einige dieser Gesellschaft, die er doch erkannt hatte, waren bereits zusammen mit den anderen Gästen gegangen.
    Als man dann vorn am Tisch neben der Theke saß, der Gastraum dahinter wie immer im Dunkeln, konnte Sebastian es sich nicht verkneifen nach dem Bergbauingenieur zu fragen und dem Zimmermann von der Stalinallee, der wohl in Berlin sei.
    „Nee, mein Lieber“, wurde er aufgeklärt, „nicht in Berlin, der sitzt in Cottbus.“
    „Weshalb denn das?“ Sebastian sah Eddy verblüfft an.
    „17. Juni“, sagte der und zuckte dazu mit den Schultern.
    „Wie denn …?“
    „Na, der hat da in Berlin von irgend so’nem Podest aus bei ‘ner Riesenversammlung auf die Regierung geschimpft, auf die Normerhöhungen und so … War ja alles richtig, was der gesagt hat, aber sechs Jahre, hab’ ich gehört, sechs Jahre haben die ihm dafür aufgebrummt. Und Wilfried, also unser Ingenieur hier, der ist gar nicht mehr da, ist nämlich rüber gemacht und Friedrich, der Markscheider, auch. Sind ja ‘ne ganze Menge abgehauen nach’m Aufstand.“
    „Aber hier in Räschen?“ fragte Sebastian, „hier war doch überhaupt nichts los, kein Streik, keine Demonstration …“
    „Das ist richtig“, sagte Willi, der Markscheiderkollege des Rübergemachten, aber viele hauen eben wegen ihrer Kinder ab.“
    „Na klar“, bestätigte Richard, „wer als Kind von Bürgerlichen abgestempelt wird hat hier keine Chance, wenn die Eltern nicht voll ins sozialistische Horn blasen.“
    „Da kommen denen nach und nach alle Spezialisten abhanden“, stellte Willi, der Markscheider, fest.
    „Tja“, sagte Richard, „was weiß ich, die wollen das wohl so im Arbeiter- und Bauernstaat.“
    „Und im Westen“, meinte Willi, „da suchen sie solche Leute. Ob das mal auf Dauer gut geht“, dazu wiegte er skeptisch den Kopf.
    „Geht mir ja genauso“, warf Sebastian ein. „Keine Chance für ‘ne Oberschule …“
    „Was is’n Dein Vater?“ fragte der Baggerfahrer.
    „Von Beruf?“
    „Na, was’n sonst!“
    „Architekt“, erklärte Sebastian, „Oberbauleiter zur Zeit bei der Bauunion in Senftenberg.“
    „Und früher?“ fragte der Baggerfahrer.
    „Na, selbständig und dann im Krieg Abteilungsleiter bei der Ilse Bergbau AG.“
    „Ist doch alles Quatsch“, unterbrach Willi, „diese Stigmatisierung der Mittelschichten als Ausbeuter und Klassenfeinde, ob nun kleinere Fabrikanten, Handwerksbetriebe, Ladenbesitzer, Freiberufler …“
    „Was sind denn Freiberufler?“ wollte Eddy wissen.
    „Anwälte und Ärzte mit eigener Praxis zum Beispiel“, sagte Willi, „auch Apotheker, Architekten und so …“
    „Also Leute, die auf eigene Kappe arbeiten?“
    „So ungefähr“, bestätigte Willi. „Aber“, sagte er nach kurzer Pause, „die gibt’s ja bei uns bald gar nicht mehr. Die schicken zwar Arbeiterkinder auf die Schulen, aber das dauert dann noch ‘ne ganze Weile, bis sie die einsetzen können.“
    „Ärzte und Rechtsanwälte, die gibt’s doch aber noch“, meinte Eddy.
    „Ja“, und der Markscheider wiegte wieder bedenklich den Kopf, „aber selbständig in Anwaltskollektiven? Auch wenn die sich Kollegien nennen, das sieht alles bloß noch so aus. Selbständig und vor allem unabhängig, das sind die längst nicht mehr.“
    „Ist schon alles eine große Scheiße!“ begehrte Eddy, der Ziegeleiarbeiter, auf. „Die einen verschwinden nach’m Westen und die anderen geh’n in Knast. Wir werden hier immer weniger“, dazu wies er mit einer Handbewegung um den Tisch.
    „Nach dem Aufstand im Juni haben viele keine Hoffnung mehr für sich und ihre Familien“, stimmte der Wirt zu. „Ich krieg’ das ja hier mit“, und er streifte dabei den überschüssigen Schaum von den Biergläsern, um dann überall noch mal einen Schuß nachzufüllen. Schließlich legte Richard großen Wert auf anständige Schaumkronen. „Aus dem Westen kommt keine Hilfe“, sagte er nach einer Weile, „das können wir uns ganz und gar abschminken.“
    Sebastian wußte ja, daß der Westen und auch sein

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