Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Nachrichtendienst vom Aufstand in der DDR völlig überrascht worden waren. Bloß der RIAS ist auf Draht gewesen, sagte er sich, sonst hätte so bald niemand was vom Berliner Aufstand der Bauarbeiter erfahren.
Er wußte von Hoffmann, daß die Westmächte auch nicht einen Gedanken an eine Unterstützung der Aufständischen im Osten verschwendet hatten. Nein, die große Hoffnung auf Befreiung aus dem Westen, wenn auch nicht eigentlich vorstellbar, so aber doch weit verbreitet, hatte sich brutal als Illusion entpuppt und war zu allerletzt gestorben, wie große Hoffnungen es nun mal so an sich haben.
Der Mittelstand, das Bürgertum verläßt die Heimat, zieht aus zu Hunderttausenden, kehrt einem Arbeiter- und Bauernparadies den Rücken. Er hatte ja vor dem Lager in Berlin-Marienfelde gestanden und gesehen, wie Straßenbahnen dort einen Menschenstrom entließen und viele nur mit einer Tasche in der Hand oder einem Rucksack auf dem Buckel in ganzen Pulks zum Lagertor zogen. Das war dort keine vornehme Villa, die sie betraten, in keinem vornehmen Stadtviertel, sondern ein ausgedehntes, funktionales Ensemble fester Zweckbauten, gar nicht so weit entfernt vom Tempelhofer Flughafen, von dem aus die Flüchtlinge dann in eine ungewisse Zukunft starteten, aber doch wenigstens überhaupt eine Zukunft, wie alle hofften, als Emigranten im eigenen Land.
Auch mit Remy Martin, den der Markscheider spendierte und mit Westzigaretten wollte keine gelockerte Stimmung unter den Versammelten aufkommen, deren Zahl den Anwesenden ohnehin bedenklich dürftig erschien. Alle wirkten sie leicht konsterniert: Der Zimmermann auf lange Jahre im Knast und einige andere für immer im Westen …
„Wir sind doch schon die letzten Male hier so wenige gewesen“, versuchte Eddy die gedrückte Stimmung zu erklären.
Daß die Leute abhauten, konnte Sebastian gut verstehen, daß aber der immer so leicht erregbare Zimmermann gleich für sechs Jahre ins Zuchthaus gebracht worden war, bedrückte auch ihn. Irgendwie war allen dort bei Richard klar geworden, auf wie dünnem Eis sie sich ständig bewegten.
Trost verbreitete auch der Wirt nicht gerade, als er erklärte: „Wir beklagen die Verhältnisse hier, aus denen andere ihren Ehrgeiz und ihren Machthunger stillen, um dann zu behaupten, das alles nur zum Wohle des Volkes zu tun.“
„Es gibt aber auch Brätzdumme“, konnte Sebastian sich eine Entgegnung nicht verkneifen, „die nämlich das alles wirklich glauben, was sie so in der Zeitung lesen und bei der Rotlichtbestrahlung hören.“
Richard nickte. „Manche“, sagte er, „die brauchen was, an das sie glauben können.“
„Früher gab’s dafür mal den lieben Gott“, warf Sebastian ein, „und später den Adolf.“
Der Wirt lachte und winkte ab. „Jetzt haben wir eben den kommunistischen Aberglauben und das werden wir und unsere Kinder und Kindeskinder noch mal schwer auszubaden haben.“
„Aber das Paradies auf Erden, das versprechen die uns doch immer, unsere Machthaber“, sagte Sebastian mit einem kurzen Grinsen.
„Das ist doch alles Wissenschaftsaberglauben, wenn dort überhaupt von Wissenschaft die Rede sein kann“, sagte der Wirt.
„Ich kann so’n Gequatsche wirklich nicht mehr ab“, mischte Eddy sich ein und bestellte eine Lage Remy.
Der Wirt lachte wieder und spendierte eine Lage Goldflake dazu.
Der Baggerfahrer besah sich seine qualmende Goldflake und schnüffelte in die Luft. „Wenn ich so an’n Westen denke“, sagte er leicht weinerlich, „dann wer’ ich bloß traurig.“
„Wieso denn das?“ Und der Markscheider sah den Baggerfahrer ungläubig an.
„Na, weil das jetzt nach’m Aufstand bei uns alles so weit weg ist, also der Westen und so …“
„Na, hör’ bloß auf zu flennen“, sagte der Markscheider, „das ist doch alles Quatsch! Hier ist nischt weiter weg als sonst. Gleich noch ‘ne Lage, so’n Franzmann“, wandte er sich an Richard, „damit hier keiner erst ein Kind von Traurigkeit wird.“
Der Wirt füllte die Gläser.
„Also Prost“, rief der Markscheider. „Wir werden uns doch von denen da“, und er wies mit dem Daumen in Richtung Fenster nach draußen, „kein X für ein U vormachen lassen.“
Alle stießen mit ihren Gläsern an. Der Markscheider grinste und rezitierte dann: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein, wie’s die Väter waren …“
„Na, na“, sagte Eddy und stellte sein Glas auf den Tisch,
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