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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Lampe, nicht fahren, wenn es dunkel wird, ganz einfach. Doch sie kamen unabgestraft nach Hause.

    6.

    Hans-Peter saß im Klassenzimmer der erweiterten Oberschule in Altdöbern am letzten Tisch der Fensterreihe, neben ihm ein alter Schulfreund aus der Großräschener Grundschule. In Großräschen, obwohl fast dreimal so groß wie Altdöbern, gab es keine weiterführende Schule. Nach Altdöbern waren es neun Kilometer, und es bestand auch eine Zugverbindung. Hans-Peter wurde seinerzeit Altdöbern zugewiesen. Andere wieder wurden der acht Kilometer entfernten Senftenberger Oberschule zugeteilt. Aussuchen konnte man sich das nicht.
    Ein tiefhängender Schneehimmel sorgte dafür, daß es an diesem Montag nicht richtig hell wurde, und so brannte den ganzen Vormittag schon die Deckenbeleuchtung im Klassenzimmer. Ein elendes Funzellicht, meinte Hans-Peter. Es war die letzte Stunde an diesem Tag. Geschichte stand auf dem Plan, nämlich die der Arbeiterbewegung von Lassalle bis Bebel. Hans-Peter war an diesem Tag mehr als bloß abgelenkt, auch die vorhergehenden Stunden schon. Und so hörte er nur wie von ferne die Stimme Lehrer Rundtes, die ihm ab und zu ins Bewußtsein drang. Von der SPD war die Rede und von einer abgespaltenen USPD, der Keimzelle des Kommunismus. Hans-Peter hatte schon davon gehört. Eine Wiederholungsstunde... Sie würden wohl beide abhauen nach dem Westen, Sebastian und er. Ein Jahr für den Westen arbeiten, ein Jahr und dann weg von hier. Dieses Kaff Großräschen – überhaupt die ganze Gegend hier, die blöde Schule und dann auch noch Russisch, wozu Russisch? Acht Jahre – und nur zwei Jahre Englisch, die Sprache des Klassenfeinds, des Imperialismus … von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen... Pustekuchen, sagte sich Hans-Peter, den Ellenbogen auf dem Tisch und das Kinn in die Hand gestützt, den Blick dem Lehrer zugewandt, nach vorne zum Pult, ohne ihn jedoch wirklich zu sehen. Was die alles erzählen von der Arbeiterklasse... und wenn man genau hinsieht, wer hat denn das alles eingerührt, das mit dem Kommunismus? Kein Spartakus, nein, das Bürgertum, ganz klar. Da steckt das Großbürgertum dahinter. Das geht doch schon bei Lassalle los, geht weiter mit dem Patrizier Engels, dem Großbürger Marx bis zum Landedelmann Uljanov, genannt Lenin. Selbst Bebel, Reichstagsabgeordneter der Kommunisten, war ja doch Schreinermeister mit eigener Werkstatt gewesen, keineswegs ein ausgebeuteter Arbeiter. Alles Leute, die nur das Wohl der Menschheit im Schilde führten, ausnahmslos selbstlose Lehrer der unterdrückten Arbeiterklasse – so jedenfalls die offizielle Lesart, gegen die es keinen Einspruch gab. Nur weg von hier, raus aus Kleinkleckersdorf, aus Mief und Muff... Da schrillte die lang ersehnte Pausenglocke, beendete die letzte Stunde und Lehrer Rundte wischte mit einem feuchten Schwamm das „Kommunistische Manifest“ von der Wandtafel. Bewegung kam in die Reihen der eben noch ruhig dasitzenden Schüler. Das Schurren von Stühlen, Stimmengewirr, das Klatschen von Taschen und Mappen auf Stühle und Tische erfüllte den Klassenraum, helle Mädchenstimmen und das laute Rufen des Lehrers: „Hallo, Herrschaften, nicht so eilig bitte! Mal herhören! Lassalle bis Bebel haben wir nun abgeschlossen. Ich verstehe ja, daß Sie nach Hause wollen, aber einen Moment sollten Sie mir noch zuhören! Ich möchte nur daran erinnern“, sprach er laut in das Stimmengewirr hinein, „daß ich zu Freitag dieses Kapitel als Hausarbeit erwarte. Höchstens zwölf Seiten.“
    „Und mindestens?“ kam es aus der Klasse.
    „Das wird sich ja zeigen“, erwiderte der Lehrer, „wieviel Platz Sie brauchen, der eine mehr, der andere weniger.“
    „Und wenn es mehr wird als zwölf Seiten?“
    „Sie sollen ja keinen Roman verfassen. Ich erwarte einen Aufsatz mit den wesentlichen Fakten, die haben wir hier durchgenommen. Also denken Sie daran und gucken Sie in Ihre Aufzeichnungen.“
    „Steht ja alles auch im Geschichtsbuch“, sagte Hans-Peter zu seinem Tischnachbarn.
    „Wir müssen unsere Jacken holen“, erklärte der, „sonst geraten wir ins Gedränge...der Garderobenraum ist einfach zu eng.“ Und beide griffen sich ihre Taschen. „Immerhin abschließbar“, sagte der Tischnachbar und Hans-Peter nickte. „Na los!“ Sie beeilten sich.
    Im Fahrradunterstand wurden sie durch eine erneute Drängelei aufgehalten. Hans-Peter konnte die Schule nie schnell genug verlassen. Schule war nun mal, zum Leidwesen seiner

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