Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
schließen!“ Das Schrillen der Trillerpfeife und die gehobene Kelle des Vorstehers. Das sachte Rumpeln der Räder verriet schnell, daß der Zug in Bewegung geraten war. Immer schneller huschten Signal- und Telefonmasten vorüber, und Sebastian schob entschlossen das noch offene Fenster zu. Nur gedämpft war jetzt noch das Rollen der Räder im Rhythmus der Schienenstöße zu vernehmen, die den Zug unmerklich schwankend vorwärtstrieben, immer weiter weg. Berlin lag schon weit hinter ihnen und Großräschen rückte wieder näher. Die Freunde saßen einander gegenüber in die Fensterecken gelehnt, sahen hinaus und schwiegen, jeder mit sich und dem Erlebten beschäftigt. Zu bereden gab es nicht allzu viel, alles war noch offen, nichts wirklich entschieden. Daß Hoffmann ihnen Gefahren, die mit ihrem Einsatz verbunden sein würden von sich aus vor Augen geführt hatte, beschäftigte die beiden natürlich, jeden für sich, wie sie dort in sich gekehrt im Abteil saßen und in das verschneite Land hinausblickten. Nach einiger Zeit kam wieder ein Gespräch in Gang.
„Ich weiß, woran du denkst“, sagte Hans-Peter unvermittelt.
Sebastian hob die Schultern. „Woran schon. Ist doch klar, daß die uns nicht helfen können, wenn was schief geht.“
„Wie sollten sie auch?“ Und Hans-Peter schüttelte dazu den Kopf. „Da stehen wir dann, wie dein Herr Hoffmann so schön sagte, nur für uns selber ein. Andererseits sieht es bei eigenen Flugblättern beim Verteilen und Kleben nicht anders aus. Und wenn du da auffliegst, kümmert sich auch kein Schwanz um dich.“
„Gegen so einen Staat“, erwiderte Sebastian, „kannst du eben nur mit allen Mitteln anstinken. Und was wir jetzt vorhaben, ist ja doch wesentlich wirksamer als das einsame Flugblätterbasteln.“ Und Sebastian blickte wieder zum Fenster hinaus.
Hans-Peter nickte, lehnte sich in seine Ecke zurück und schloß die Augen. Ihn überkam ein Empfinden wie in der Schule, eine Abgespanntheit wie nach einer schwierigen Mathearbeit.
5.
Über Nacht war viel Schnee gefallen. Die zwölf Forstarbeiterlehrlinge des Kreises Senftenberg waren aus den einzelnen Revieren für einige Wochen zu Holzfällerarbeiten in Sebastians Revier Chransdorf bei Altdöbern zusammengezogen worden. Um an den Einsatzort mitten im ausgedehnten Chransdorfer Forst zu gelangen, mußte Sebastian sich mit dem Fahrrad quer durchs Gelände schlagen. Abseits der Chaussee nach Altdöbern arbeitete er sich, Rucksack mit Axt und Frühstücksbroten auf dem Rücken, das Fahrrad mit der Querstange über der Schulter durch fast knietiefen lockeren Schnee in hohen Schweinslederschuhen dem Arbeitsplatz entgegen. Bäume fällen für dreißig Mark im Monat, was gab’s da noch zu lernen? Der Holzeinschlagsplan des Reviers Chransdorf würde vorfristig erfüllt werden. Im Weiler Chransdorf befand sich auch das Kreisforstamt im Gebäude einer alten Poststation an einer einst wichtigen uralten Handelsroute. Die Gebäude der Oberförsterei daneben dienten Kreisforstmeister Hromatnik im wesentlichen als Wohnsitz. Auch er kein Fachmann wie Sebastians zwanzigjähriger Revierleiter. Richtige Förster gab’s eigentlich überhaupt nicht mehr. Sebastians Chef, Revierleiter Horst Nagel also, war fachlich auch nicht viel weiter als Sebastian selber. Gesellschaftlich schien es bei ihm aber zu stimmen. Wenigstens war ihm der Forstfachschulbesuch in zwei Jahren fest zugesagt worden. So wie dort auf dem Weg durch den Schnee zur Arbeit überfielen Sebastian immer öfter Überlegungen, wie es nun mit ihm weitergehen sollte. Jetzt, sagte er sich, geht es allein um Holzeinschlagszahlen, um eine hochgesteckte Planerfüllung auf Deubel komm raus, ohne Rücksicht auf den Waldbestand. Und die Jagd, hieß es, die Jagd als feudales Relikt des Bürgertums, könne es in einem Arbeiter- und Bauernstaat so nicht mehr geben. Bei den Mitgliedern der Jagdkollektive handle es sich ausschließlich um verdiente Genossen aus der Arbeiterklasse. Da war sie dann wieder, die Abgrenzung, die Einteilung, das Klassendenken, die Selektion wie schon in der Schule. Warum ausgerechnet Förster, hätte man Sebastian fragen können. Die romantische Verbindung zu Wald, Wild und Hund gab es ja längst nicht mehr, wenn es sie überhaupt je gegeben hatte. Sebastians Antwort darauf hätte wohl gelautet: Der Förster bleibt beruflich ein Einzelgänger. Försterkollektive wird es nicht geben. Ein Förster teilt sich Arbeit und Zeit vielfach selbst ein und verfügt
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