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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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bedienen, Miete und Strom zahlen, viel bleibt da nicht mehr. Kauf ‘ dir eine Hose oder Jacke; entweder ist der Stoff aus Holzwolle oder du legst in der HO die Ersparnisse eines halben Jahres dafür hin.“
    „So ist es.“ Gerade das wurmte Hans-Peter, der dabei an seine eigene Garderobe dachte: eine einzige brauchbare Hose und das Jackett mit den etwas zu kurzen Ärmeln... alles fehlte. Hemden, die waren abgetragen, am Kragen ausgebessert und einen Mantel hatte er überhaupt nicht. Wollte er sich fein machen, kam er sich immer irgendwie zusammengeflickt vor. Zu Tanzveranstaltungen in den „Kurmärker“ oder ins Volkshaus „Tatkraft“ traute er sich daher kaum. Manche hatten da ganz tolle Klamotten, vieles natürlich aus dem Westen. Das sah man schon, wer da Beziehungen hatte, und die gaben auch noch damit an. Rauchte jemand im vollen Saal eine Westzigarette, suchte mindestens der halbe Saal schnüffelnd herum – laß mich mal ziehen, mich auch, mich auch... Wer Westbeziehungen hat, ist irgendwie was besseres. Aber nun hatte er ja immerhin seine Schwester dort. „Ja, wenn du es überhaupt zu Ersparnissen bringst“, antwortete Hans-Peter dem Klassenkameraden.
    „Das geht eigentlich nur, wenn beide Eltern arbeiten“, sagte der, „also wie bei uns zu Hause. Aber bei vielen gibt’s ja nur noch die Mutter.“
    „Bloß die Mutter – dann hast du eben mit Zitronen gehandelt.“
    „Zitronen? Du bist gut“, ereiferte sich der Klassenkamerad. „Wer wär’ nicht froh, wenn er welche hätte.“
    „Aber da weiß ich was“, sagte Hans-Peter grinsend. „Kennst du den Witz vom sozialistischen Leiter?“
    Sein Mitschüler schüttelte den Kopf. „Erzähl’ mal.“
    „Also hör’ zu. Frage an Radio Eriwan: Kann ein sozialistischer Leiter leiten? Antwort: Im Prinzip ja, aber haben Sie schon mal einen Zitronenfalter gesehen, der Zitronen faltet?“
    Der Klassenkamerad lachte laut. „Nicht schlecht, aber vielleicht kann man die wirklich falten, schließlich hab’ ich noch nie eine gesehen.“
    „Eine vitaminreiche Südfrucht, ist sauer und sieht gelb aus.“
    „Gelb? Alles graue Theorie für mich.“
    „Warst du noch nie in Westberlin?“
    „Doch, da habe ich aber nicht unbedingt auf Zitronen geachtet.“
    Schließlich mußten sie vor der Einfahrt nach Großräschen an der herabgelassenen Schranke neben der früheren Tankstelle Opitz halten. Eine fauchende, dampfende Lokomotive zog einen langen Güterzug vorüber. Als der letzte Wagen sich Richtung Altdöbern entfernt hatte, stieg die rot-weiße Schranke langsam in die Höhe. Auf der Gegenseite fuhr mühsam mit viel Geräusch ein alter, mit Braunkohlenbriketts beladener LKW an, um dann langsam schaukelnd über den ausgefahrenen Bahnübergang zu rollen. Die lange Chaussee lag nun hinter den beiden. Zu Hause warteten Mittagessen und Schularbeiten mit dem Druck der drohenden Chemiearbeit im Nacken.
    Hans-Peter blätterte noch sehr spät an diesem Abend lustlos im Chemielehrbuch und den eigenen Aufzeichnungen. Er war abgelenkt, konnte sich nicht konzentrieren, hatte er zuvor doch seinen Freund Sebastian aufgesucht und sich mit ihm über Berlin unterhalten, über Hoffmann, den Nachrichtendienst und den Westen und auch die Möglichkeiten, die sich für sie dort ergeben könnten. Aber Gefahr und Ungewißheit ließen sich nicht so leicht kleinreden. Sie hatten sich geeinigt, Gaststätten und Tanzvergnügen möglichst zu meiden, denn überall dort hatte die Stasi Augen und Ohren weit offen. Von manchen Leuten wußte man genau, daß sie Spitzel waren. Von anderen wieder wußte man es nicht und noch andere konnten ganz harmlos auftreten. Die Unsicherheit war hier immer groß und Vorsicht daher mehr als geboten.

    7.

    Am nächsten Morgen erwachte Hans-Peter sehr früh aus einem bösen Traum: Er war draußen im Vorgarten, der etwas anders aussah, aber er wußte, daß es der Garten war und da gab es neben einem Rhododendronbusch, es lag kein Schnee und war auch nicht kalt, so einen Eingang in den Erdboden, wie sie ihn als Kinder in ihre Bunker angelegt hatten. Dieses Erdloch kannte er dort nicht, wunderte sich aber auch nicht darüber. Er ließ sich mit dem Kopf voran hineinrutschen. Es war dunkel, und er tastete die sandigen, feuchten Schachtwände ab und fand einen Gang, eng und schmal. Eine tonlose Stimme, die er nur im Kopf hörte, sagte ihm, er müsse dort hinein. Erst konnte er noch auf den Knien, dann mußte er auch bald auf dem Bauch rutschen, immer tiefer

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