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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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hintere Teil der Schankstube verlor sich im Dunkeln. An den beleuchteten Tischen saßen Richards Gäste.
    „Wie ich das so sehe“, fuhr der Ingenieur fort“, „wird das nichts mit dem Sozialismus. Ist ja auch beim großen Bruder nichts geworden.“
    „Der Spitzbart muß weg“, rief Eddy und hob dazu sein Bierglas. „Prosit!“
    Alle stießen miteinander an. Der Zimmermann wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum vom Mund und erklärte: „Die ganze Regierung muß weg. Und dann muß man die politischen Gefangenen freilassen. Fast jeder von uns kennt doch mindestens einen, den die Stasi geholt hat.“
    „Stimmt!“ bestätigte Sebastian, etwas erschrocken über seine Einmischung. „Ich weiß wenigstens von Dreien, die abgeholt wurden.“
    „Völlig richtig“, pflichtete der Markscheider bei, „wir kennen doch alle welche und verhalten uns wie die Bähschafe.“
    „Wir brauchen dann aber Wahlen, die wirklich frei sind“, stellte der Zimmermann fest, „und nicht dieses Abstimmungsaffentheater wie beim letzten Mal.“
    „Richtig“, bestätigte der Ziegeleiarbeiter. „Wer nicht hingehen wollte, wurde vom Lautsprecherwagen rausgerufen: Eberhard Meier, Sie waren noch nicht wählen! Gehen Sie ins Wahllokal am Markt! Ganz laut über die Straße gebrüllt, so ging das. Sind das freie Wahlen?“
    „Und im Wahllokal“, ergänzte Richard, „hast du’nen Zettel zu falten und in die Kiste zu werfen – oder auch nicht. Aber wer traut sich sowas schon? Fast alle schmissen den Zettel rein, schimpften anschließend und schämten sich. Ich auch“, sagte er, „ich schäme mich heute noch“, dabei wischte er mit einem feuchten Lappen die vernickelte Theke blank. „Hätte ich’s aber nicht gemacht“, dazu unterbrach er das Polieren und sah seine Gäste an, „also den Zettel nicht reingeworfen, dann wäre ich hier längst nicht mehr Wirt!“
    „Und wir könnten bei Richard nicht mehr gemeinsam schimpfen“, ergänzte der Ingenieur und alle lachten.
    „Mußt dich nicht schämen“, tröstete der Markscheider, „ich hab den Zettel ja auch reingeschmissen.“
    Letztlich bekannten sich alle zum gleichen schmachvollen Handeln.
    „Wir sind damals überrumpelt worden“, sagte der Zimmermann. „Viele kannten ja Wahlen noch gar nicht.“
    „Ich hatte mich auch gewundert“, gestand der Ingenieur, „und mir Wahlen etwas anders vorgestellt. Was du auch wählst, LDPD, NDPD, CDU … du wählst immer die Nationale Front.“
    „Also immer SED“, sagte der Markscheider.
    „Ja sicher“, bestätigte der Ingenieur, „die mitgliederstärkste Partei.“ Und er orderte eine Lage Bier mit Korn für alle.
    „Molle mit Korn sagt man in Berlin“, erklärte der Zimmermann.
    „Bier kann man gerade noch bezahlen, beim Kurzen sieht’s schon anders aus“, sagte der Ziegeleiarbeiter. „Das können nur Leute vom Ingenieur an aufwärts.“
    Der Ingenieur winkte ab. „So viel mehr als du verdiene ich auch nicht.“
    Von Sebastian erwartete niemand der Anwesenden eine Beteiligung, und daß er dennoch immer mit einbezogen blieb, darüber verlor keiner ein Wort. Versuche Sebastians ihn auszuklammern wurden mit dem Bemerken abgetan: „Du verdienst doch noch nichts. Ausscheren gilt hier nicht.“
    Nachdem alle ihre Kurzen mit einem Schluck Bier heruntergespült hatten, setzte der Zimmermann sein Glas unsanft auf den Tisch. „Ist doch alles eine große Scheiße“, schimpfte er. „Warum lassen wir uns das gefallen?! Lohndrückerei, Preistreiberei... auf Marken kriegste kaum noch was und im HO kannst du’s nicht bezahlen. Ein halbes Pfund Butter fünfzig Mark! Bohnenkaffee kannste nur grammweise kaufen und dann schmeckt er auch noch ranzig. Auf Karten reichste ja nicht hinten und nicht vorne. Aber malochen, daß die Schwarte knackt! Bei den HO-Preisen kann ich – ich verdiene ja angeblich so viel – keinesfalls mithalten. Das sind Schwarzmarktpreise. Da sollte man doch glatt auf die Barrikaden gehen!“
    „Schwarzmarktpreise“, sagte der Ingenieur, „das stimmt! Mit der HO will man den Schwarzmarkt ja austrocknen.“
    „Na, sag bloß, wo gibt’s denn in Großräschen ’nen Schwarzmarkt“, wollte der Zimmermann wissen. „Ich hab noch keinen gesehen“, erklärte er grinsend. „Wie sieht denn sowas aus, so’n Schwarzmarkt?“
    „Hier gibt’s gar keinen Grund zu blödeln! Ist natürlich kein Wochenmarkt“, grinste der Ingenieur zurück.
    „Aber die Schwarzmarktpreise im HO sind eine Beleidigung für jeden

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