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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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er, ich würde möglicherweise, ja, durch ein großes Fabrikhallenfenster würde ich undeutliche Umrisse großer Maschinen andeuten und Schattenrisse darüber gebeugter Gestalten und über dem Fenster draußen ein Spruchband: ’Proletarier aller Länder vereinigt euch!’ Dann sind die schon zufrieden. Ich kann ihr das ja mal skizzieren. In den Scheiben glänzt ja immer Licht, da muß man nicht so deutlich werden.
    Wann er denn wieder mal vorbeikäme, ein bißchen länger, fragte sie an, so wie damals … als er ihr Paddelbootfahren beigebracht hatte. Ja, Blasen an beiden Händen hatte sie sich dabei eingehandelt, die dann aufgingen, erinnerte er sich. Dann heulte sie heimlich, als er wieder wegfahren mußte. Ihre Mutter hatte ihm das ein wenig ratlos erzählt. Na ja, ein bißchen schmeichelte ihm das schon, gestand er sich lächelnd ein. Er käme wieder, hatte er sie getröstet, als er sich damals verabschiedete.
    Sebastian steckte den Brief wieder in seine Jackentasche, stand auf und ging über den Saum des Strandes dicht am Wasser entlang. Er ging über Sandschichten, auf die vor rund fünfzig Millionen Jahren das Licht der Sonne geschienen hatte wie jetzt wieder, aber einer sehr warmen Sonne damals. Im Ilsepark stand überdacht so ein riesiger inkohlter Zypressenstumpf aus dieser Zeit, den die Ilse-Konzernleitung Anfang der zwanziger Jahre dort aufgestellt hatte. Hier standen einst riesige Wälder in weiten Sümpfen, überlegte er und blickte über den See. Weit über hundert Meter hohe eiszeitliche Sandschichten mußten abgetragen werden, bevor man auf den Grund jenes uralten Landes stieß, auf dem die mächtigen Zypressen einst gewachsen waren.

    27.

    Sebastian und Hans-Peter waren zu regelrechten Kirchgängern geworden. Sonntag für Sonntag begaben sie sich getrennt, jeder für sich, zum Gottesdienst in die Bückgener Kirche, um durch einen Nebeneingang unbemerkt zur Orgelempore zu gelangen, mit Blick von dort oben über den ganzen Kirchenraum, und so konnten sie leicht erkennen, wer sich Notizen machte. Es waren fast jedes Mal andere Leute, die dort mitschrieben und versuchten, dies unauffällig zu tun. Pfarrer Kunzmanns Predigten waren den Staatsorganen schließlich ein Greuel und in masochistischer Manier notierten die subalternen Helfer alles, was sie für Ausfälle gegen die Staatsmacht hielten, von Kunzmann allerdings immer so verpackt, daß niemand ihm ernsthaft am Zeuge flicken konnte.
    Von der Orgelempore her sollten die Freunde den Pfarrer unbemerkt von jedermann außer dem Organisten, der zuverlässig war, wie der Pfarrer versichert hatte, Zeichen geben und in die Richtung deuten, in der die Entsandten der Staatsmacht saßen. Das forderte dann den Pfarrer stets zu spitzen Nebenbemerkungen heraus, mit denen er seine Predigten würzte und so war denn das Kirchengestühl in aller Regel immer voll besetzt.
    Möglicherweise wäre Pfarrer Heinz Kunzmann auch ein guter Schauspieler geworden, wenn sich das so ergeben hätte. Das jedenfalls war Sebastians Meinung, wenn er den Pfarrer agieren sah, das war schon gekonnt.
    Nachdem die Kirche sich dann nach dem Ende des Gottesdienstes bis auf den letzten Besucher geleert hatte, verließen die beiden Freunde wieder getrennt voneinander die Kirche. Manchmal war auch Totila mit von der Partie.

    An einem dieser Sonntage, dem letzten im April, das Wetter entsprechend unbeständig, viel mehr Regenschauer als Sonnenschein und insgesamt kühl, hatte Pfarrer Kunzmann seine beiden freiwilligen Wächter am Abend zu einer Flasche Rotwein ins Pfarrhaus geladen. Es könnten auch zwei oder drei werden, ließ er sich, ein bißchen beiseite gesprochen, vernehmen. Sebastian war erfreut. Sie hatten ja schon einmal im geräumigen Pfarrhaus bei einigen Gläsern Wein zusammengesessen. Wenn er sie jetzt wieder einlud, hatte dem Pfarrer dieser Abend voller politischer Gespräche wohl auch gefallen.
    Für einen Pfarrer, der erst knapp ein Jahr hier residierte, war Großräschen kein leichtes Pflaster, machte Sebastian sich klar. Großräschen... das waren in aller Regel sehr einfache Leute. Ein altes Rund- und ein altes Straßendorf mutierten vor knapp hundert Jahren dank der Braunkohle zu einem Industrienest, neben einigen Bauern hauptsächlich von Gruben-, Fabrik- und Ziegeleiarbeitern bevölkert. In kultureller Hinsicht mit zwei Kinos bestückt und das war es dann auch schon.
    Die dritte kulturelle Institution stellte seit neuestem Pfarrer Kunzmann mit seiner Kirche dar. Die von

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