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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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oben rechts abzubiegen ins Tagebaugelände, in die sogenannten Kippen. Bei sich trug er einen Brief, den er am Wochenende erhalten hatte, einen Brief aus Leipzig. Christa Richter hatte ihn geschrieben, Christa, die er vor über einem Jahr während der Leipziger Messe kennengelernt hatte. Sie damals vierzehn und er selbst noch sechzehn.
    In einer über Jahre vom Regen ausgewaschenen tiefen, sandigen Rinne, die zum See hinabführte, ließ er das Rad liegen und ging weiter hinunter zum Strand des großen Grubensees. Wenn er über die Sandhänge hinaufblickte, erkannte er gegen einen blauen Himmel den grünen Saum eines noch niedrigen Mischgehölzes aus Birken, Kiefern, Robinien... Er mochte diese Landschaft und konnte gut davon absehen, daß es eine künstliche war, ein Eingriff des Menschen, eine brutale Zerstörung des Landes. Diese Grundwasserseen, das wußte er, waren tief, kalt, sehr eisenhaltig und ein wenig unheimlich, wenigstens empfand er dies immer wieder so. Schön auch, sagte er sich stets von neuem, schön, daß sich kaum mal eine Menschenseele dorthin verirrte. Wenn oben im Gehölz noch Vogelsang zu hören war, hier unten blieb es still, bis auf den Rhythmus heranrauschender Wellen, ein eintöniges Auf und Ab. Ganz so, wie er sich die Welt der Vorzeit dachte, ehe Leben sie bevölkert hatte. Hier fühlte er sich diesem rast- und ruhelosem Leben fern, das ihn sonst bedrängte, in Handlungen verstrickte, mit Forderungen aufwartete und ihn vor allem zu Heimlichkeiten zwang.
    Dabei dachte er an den letzten Auftrag Hoffmanns, einen alten Feldflughafen aus der Hitlerzeit zu inspizieren, also festzustellen, ob dort Ausbauarbeiten begonnen hatten oder geplant waren. Dieses Gelände lag bei Luckau und war über eine Kleinbahnstrecke aus Lübben zu erreichen. Eine ulkige Lok mit hohem Schornstein und jugendstilverzierten Wagen mit geschliffenen Fensterscheiben in ovalen Rahmen war dort eingelaufen. Zwei solcher Waggons und drei kleine Güterwagen zog diese lustig aussehende Lok schnaufend und dampfend mit ihm als einem der wenigen Passagiere an Bord übers Land.
    Der einstige Flughafen? Er mußte sich in Luckau erst durchfragen und wurde schließlich auf eine weite, von Kiefernwald umschlossene Grasfläche verwiesen. Auf ein paar Fundamente ehemaliger Gebäude war er dort gestoßen und Plexiglasreste von Flugzeugkanzeln zeigten ihm, daß hier wohl wirklich mal ein Feldflughafen betrieben worden war. Von Ausbau aber keine Spur. Und auf vorsichtiges Nachfragen bei Luckauer Bürgern nach Plänen der Russen erfuhr er nur Schulterzucken und Kopfschütteln. Keiner wußte etwas, niemand hatte was gehört – also wohl doch nur eine Ente. Und schließlich zurück mit der lustigen Lok am Nachmittag, um dann am frühen Abend wieder zu Hause zu sein. Das war am letzten Wochenende. Ein Brief nach Ostberlin war abgegangen.
    Nun saß er hier unten am Strand und las zum wiederholten Male Christas Brief. Sie erinnerte darin an seinen Kurzaufenthalt bei einer Durchfahrt nach Halle und beklagte sich: Viel zu kurz sei das gewesen, immer bloß der Blick nach der Uhr. Was seien schon zwei Stunden... Sebastian saß auf einem alten angeschwemmten Stück Holz, einem abgebrochenen Kantholz, dort am Strand des Grubensees.
    „Ja, zwei Stunden“, sagte er halblaut vor sich hin und blickte dabei über die weite, in der Sonne glitzernde Fläche des Sees. Was sind schon zwei Stunden... Zwei Stunden können sehr lang sein, überlegte er, vielleicht in großer Gefahr oder wenn einer warten muß. Damals mußte er den letzten Zug von Leipzig nach Halle erwischen, wenn er nicht einen ganz späten Nachtzug nehmen wollte. Aber nachts in Halle ein Hotelzimmer finden? Er hatte Christa damals nichts von einem Nachtzug gesagt. Sie und auch ihre Mutter wußten sowieso nicht, was er in Halle wollte, hatten nicht danach gefragt. So mußte er keine Geschichte erfinden. Christas Vater war schon seit Jahren in Westdeutschland, schrieb hin und wieder der Familie, schickte auch Päckchen und regelmäßig Geld – Westgeld, das die DDR eins zu eins in Ostgeld ausbezahlte.
    Von der Schule schrieb Christa und daß sie ein Bild zeichnen sollten, ’Arbeiter in einer Fabrik’. Schade, schrieb sie, wenn du hier wärst könntest du mir was vorzeichnen. Ich weiß nämlich überhaupt nicht, wie ich das anfangen soll.
    „Ich auch nicht“, murmelte Sebastian und sah vom Brief auf. Die immer mit ihren Arbeitern, schimpfte er in Gedanken. Ich würde vielleicht, überlegte

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