Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
ehrlichen Arbeiter“, dazu schlug der Zimmermann mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wir werden doch nur verscheißert. In die Spezialgeschäfte für Bonzen, die gibt’s jedenfalls in Berlin, da lassen die keinen von uns hier rein, das kannste mir glauben. Und Westberlin, ja, da gibt’s alles und Lebensmittelmarken haben die längst nicht mehr. Aber für ne Westmark fünf oder sechs Ostmark?“ Und der Zimmermann winkte wieder ab. „Alles eine ganz große Scheiße“, wiederholte er. „Und wenn die da bauen, dann haben die moderne Maschinen. Ich hab’s ja gesehen. So wie wir malochen, da würden die glatt streiken. Machen ja massenweise Leute rüber, aus unserer Brigade auch schon welche.“
„Halbe Dörfer hauen ab“, ergänzte der Markscheider, „wegen der LPG. Viele Bauern lassen alles stehen und liegen.“
„Die werden ja auch ganz schön gezwiebelt“, erklärte der Ingenieur. „Nicht in der LPG heißt nämlich: kein Kunstdünger, kein Saatgut und was sonst noch alles. Wenn Bauern abhauen“, sagte er, „dann heißt das schon was!“
„Das sind doch aber alles Mitbesitzer der LPG“, warf der Markscheider grinsend ein.
„Was ist das schon für’n Besitz“, und der Ingenieur schüttelte den Kopf. „Du bist ja auch Mitbesitzer der Gruben und Brikettfabriken“, wandte er sich an den Markscheider. „Wie fühlst du dich denn dabei?“
Der lachte. „Mitbesitzer nicht nur der Kohlengruben“, sagte er. „Mitbesitzer der ganzen DDR.“ Dazu lachte er wieder. „Du auch!“ Und er wies mit dem Zeigefinger auf den Ingenieur, ließ dann die Hand um den Tisch kreisen. „Ihr alle seid reiche Leute. Jedem gehört ein Stückchen DDR, ist ja schließlich Volkseigentum.“
„Du bist doch nicht schon besoffen“, fragte der Zimmermann und sah, den Kopf vorgestreckt, den Markscheider über den Tisch hinweg an. „Verträgst wohl nichts mehr?“
„Besoffene und kleine Kinder“, kicherte der, „sagen bekanntlich die Wahrheit.“
„Also dieses Gelalle, dieser Quatsch ist ja nicht mehr zu ertragen! Schnell noch was in die Gläser, Molle mit Korn“, wandte sich der Zimmermann an den Wirt.
„Aber die letzte Lage“, erklärte der. „Ist gleich halb zwei“, und er wies auf die Uhr an der Wand hinter der Theke. „Morgen ist Sonntag, aber ich muß den Laden hier um neune geöffnet haben.“
„Das geht doch noch“, meinte der Zimmermann in beruhigendem Ton.
„Ja, aber vorher wischen, Gläser putzen, sauber machen...“
Man einigte sich schließlich auf diese letzte Lage. Als alle Gläser geleert waren, löschte der Wirt das Licht und die späten Gäste verließen einer nach dem anderen im Dunkeln das Lokal.
„Wie bei einer Verschwörung“, sagte der Ingenieur in der Tür mit gedämpfter Stimme.
„So ähnlich“, bestätigte der Wirt. „Ein paar Jahre Knast für jeden von uns“, fügte er ebenfalls gedämpft hinzu.
„Meinst du?“
„Aber sicher!“
„Ist ja reichlich gefährlich bei dir.“
„Bei mir? Ihr seid gefährlich!“ Auch das wurde wieder leise gesagt.
„Ach was! Hat ja kein Unbefugter zugehört.“ Und der Ingenieur tastete sich die Treppenstufen hinab.
Sebastian folgte ihm als Letzter und hielt sich am eisernen Geländer fest. Von den Laternen, die über der Mitte der Straße hingen, fiel Licht durch die Ahornzweige und verteilte Lichtinseln über den Bürgersteig, die mit hellem Mondlicht wetteiferten, das seinerseits Licht- und Schattenflecken über den Boden streute. Sebastian ging darüber hinweg und atmete tief den Duft der Frühlingsnacht. Schön, sagte er sich, schön so eine mondhelle Nacht, wunderschön, dazu nickte er nachdenklich. Aber nicht ganz ungefährlich, diese mitternächtliche Gesellschaft bei Richard. Da muß einer nur ohne jede Absicht quatschen und falsche Ohren hören es. Diese Treffen, die gefielen ihm natürlich, klar … aber, wie Hoffmann schon sagte: Keine eigenen Flugblätter mehr – und auch keine gefährliche Gesellschaft …?
Keine zweihundert Meter und er erreichte sein vom Mond voll angestrahltes Elternhaus. Gegenüber im Mondschatten lag der dunkle Quader des Ledigenheims. Die jungen Blätter der alten Ahornbäume, die die Straße säumten, glänzten in der Nähe auf und einige silberweiße Wölkchen zogen gemächlich am Himmel dahin. Ein Bild der Ruhe, des Friedens, eine Stimmung, die sich ihm einprägte.
26.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, fuhr er mit seinem Fahrrad den Ilseberg hinauf, an der Brikettfabrik vorbei, um
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