Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
ihm zelebrierten Gottesdienste erwiesen sich zum Leidwesen von Staat und Partei als eine von den Arbeitern und Bauern gern angenommene gehobene Unterhaltung. Sebastian wollte für sich nicht entscheiden, ob Kunzmann nun ein guter Pfarrer oder aber ein exzellenter Alleinunterhalter mit nicht ganz ungefährlichen politischen Ambitionen war. Vielleicht, meinte er, sollte ein guter Pfarrer auch etwas von einem guten Schauspieler haben, wie eben Kunzmann mit seiner stets randvollen Kirche. Die Leute erbauten sich wohl weniger am Evangelium selbst als vielmehr am politischen Knistern politischer Botschaften in den Predigten.
Ich muß einfach sein in dem, was ich mitteilen will, meinte Kunzmann unter vier, manchmal auch unter sechs Augen dazu, sonst versteht das niemand. Ich darf andererseits aber nicht zu deutlich werden.
Die ältere Haushälterin verabschiedete sich gerade, als Sebastian und Hans-Peter gegen zwanzig Uhr das Pfarrhaus betraten. Es war draußen bei bedecktem Himmel bereits dunkel.
„Immer rein in die gute Stube“, begrüßte der Pfarrer sie aufgeräumt. Aus dem Terrassenzimmer erscholl „Wenn der weiße Flieder wieder blüht...“ vom Plattenspieler. Gegenwärtig sein Lieblingsschlager, erklärte der Pfarrer lachend und geleitete die beiden ins Zimmer. Alle Fenster waren vollkommen mit Decken verhängt. Neben den Sesseln und der Couch am Rauchtisch warf eine Stehlampe gemütliches gelbliches Licht in den großen Raum, dessen Ecken im Dämmern blieben. Aus einem Bücherregal funkelten da und dort in Gold und Silber Buchrücken auf. Rotweinkelche standen bereits auf dem Tischchen und Knabberzeug aus Westberlin. „Hat meine gute Frau Kaczmarek aufgetragen“, erklärte der Pfarrer mit einladender Handbewegung. „Werft Mäntel oder Jacken dort über die Stühle.“ Er wies dazu in den dämmerigen Raum.
„Ist ja richtig warm hier“, sagte Hans-Peter, indem er seine Jacke über einen Stuhl warf.
„Ich habe die Heizung ein wenig aufgedreht, draußen ist es ja noch empfindlich kühl. Ich kann sie aber auch wieder abstellen“, und der Pfarrer wies dazu auf einen hohen Heizkörper in einer Ecke des Raums.
„Ich finde es angenehm so“, meinte Sebastian, der sich ebenfalls seiner grünen Joppe entledigt hatte.
„Ja, dann meine jungen Freunde, dann nehmt mal in den Sesseln dort Platz.“
Was Sebastian erwartet hatte, traf dann auch prompt ein: „Wie steht es mit der Konfirmation?“ wollte der Pfarrer wissen, nachdem auch er sich auf der Couch niedergelassen hatte.
Sebastian grinste. „Nix ist damit“, erwiderte er. „Sie fragen mich jetzt zum dritten Mal.“
„Ich weiß, ich würde das auch nicht öffentlich machen, ganz privat und es nur in der Kirche verlesen. Formal müßte ich’s der Gemeinde mitteilen und das wär’s dann auch schon.“
„Das ist gut gemeint, nutzt aber nichts“, erwiderte Sebastian.
„Du bist schon ein dickköpfiger junger Mann“, erklärte der Pfarrer, sah Sebastian an und schüttelte den Kopf. „Ich brauchte jemanden, der die junge Gemeinde hier bei einem Treffen mit dem Kreisjugendpfarrer vertritt.“
„Nee, nee“, widersprach Sebastian, „ich will solche Öffentlichkeit für mich nicht.“ Dazu breitete er abwehrend beide Hände aus. „Ich will nicht unnötig auffallen“, sagte er.
„Na, so öffentlich ist das ja nun auch wieder nicht. Es geht dort um ein gutes Dutzend Junge-Gemeinde-Mitglieder aus dem ganzen Kreis, dem Kreisjugendpfarrer und dessen Vertreter. Das Treffen findet in Senftenberg statt.“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Was müßte ich tun, was müßte ich sagen? Ich weiß doch gar nicht, worum es dort geht.“
„Ach was!“ Der Pfarrer winkte ab und sah Sebastian über den Tisch hinweg an. „Du kannst doch gut reden“, sagte er, „und machst auch eine gute Figur. Ich hab’ ja Junge-Gemeinde-Mitglieder, aber niemanden, der so’n bißchen was rüberbringt. Du hörst dir kurz an, was die anderen so sagen und denkst dir was über die Junge Gemeinde hier aus, das klappt schon. Auf Einzelheiten kommt es dabei gar nicht so an. Es geht nur darum, Präsenz zu zeigen, das ist eigentlich schon alles.“
„Ein Repräsentant der Jungen Gemeinde, der nicht konfirmiert ist?“ Sebastian lachte und auch über das Gesicht des Pfarrers wischte ein Grinsen. „Das weiß doch niemand. Du hast wohl Angst, daß man dich mit den Reaktionären der Kirche sieht, junger Mann, so als Vertreter der Kugelkreuzbanditen?“
„Darum geht es gar
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