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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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schmunzelnd, „darf Mutter Kirche aber so nicht hören, meine ich – oder?“
    „Natürlich nicht, aber es gibt auch keine direkten Denkverbote.“
    „Der große Zusammenhang, in dem alles seinen Sinn hat … also auch das Böse und was wir für böse halten?“
    „Ja, sicher“, erklärte der Pfarrer, „Hitler, Stalin, Hamann und Denke...Ihr glaubt doch nicht“, fragte er und sah die beiden an, „daß die sich das, was sie angerichtet haben, selbst ausgesucht hatten? Nee! So wie die waren, so waren die nun mal, es lag nicht in ihrer Macht anders zu sein. Wo ist denn da dann persönliche Schuld, muß man fragen. Aber das sind die ganz großen Schurken, die schicksalhaften. Die kleineren Gauner trifft schon persönliche Schuld.“
    „Frei nach dem Motto“, fragte Hans-Peter, „die Kleinen hängt man und die Großen läßt man laufen?“
    „Na, na, so ist das nicht gemeint“, und Pfarrer Kunzmann nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Hier stellt sich die Frage“, erklärte er, „die Frage nämlich, was ist groß, reicht das also in der Schrecklichkeit schicksalhaft weit über die Person hinaus, die als Vollstrecker der Katastrophe auftritt?“
    Sebastian lachte. Hans-Peter und der Pfarrer sahen ihn erstaunt an. „Ich hab’ mir überlegt“, erklärte er seinen kurzen Lachanfall, „also, Walter Ulbricht als schicksalhafter Vollstrecker. Ich stelle mir das vor“, und er lachte wieder. „Nu, die Dodesstrafe“, zitierte er den Gemeinten.
    „Ja, natürlich“, warf der Pfarrer grinsend ein, „ganz sicher die Karikatur eines solchen Vollstreckers“, und er nickte nachdrücklich dazu, „wie es ja viele dieser bösartigen Karikaturen überall in der Welt gibt. Aber machen wir uns nichts vor, diese Karikaturen begehen auch schreckliche Verbrechen, richten große Schäden an und fühlen sich im Recht, fallen nichtsdestotrotz am Ende aber nur in die Kategorie der Gauner. Vielleicht fehlt ihnen das Dunkle, ja Finstere“, sinnierte der Pfarrer, „das schicksalhaft Dämonische der großen Schreckensgestalten, deren Schatten heute noch wesentlich größer erscheinen als sie selbst an sich, also als ganz banale Personen sind. Es ist wohl die Aura des Maßlosen, die sie irgendwie groß erscheinen läßt, auch weil diese Gestalten, einmal dieser Aura entkleidet, um so banaler erscheinen. Doch ein Ulbricht ist nun mal immer banal, auch wenn er ‘nu, die Dodesstrafe’ sagt und das auch meint und es so kommt.“
    „Schlimm für den“, sagte Sebastian nachdenklich, „der so einer Karikatur zum Opfer fällt.“
    „War es denn besser“, fragte der Pfarrer, „einem Hitler zum Opfer zu fallen? Oder“, sagte er und sah die beiden Freunde an, „wäre es besser gewesen, von Stalin oder seinen blöden Schergen zu Tode gebracht zu werden?“
    Sebastian sah, in den Sessel zurückgelehnt, gegen die Zimmerdecke und schüttelte den Kopf.
    „Nein“, antwortete der Pfarrer sich selbst, „nein! Es ist die unmenschliche Massenideologie, die Mittelmäßigkeit zum Maßstab aller Dinge macht. Was einen Proletkult propagiert, kann nur kulturlos sein, die Sanktion des Häßlichen. Und ohne Kultur“, sagte er und sah sich um, als suche er sie gleich dort im Raum, im Zimmer, das außerhalb des Lichtkreises der Stehlampe im Dunkel lag, „ohne Kultur greift Unmenschlichkeit um sich.“ Dann sah er sich um und blickte zu den verhängten Fenstern. „Geht mal“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „geht beide Mal ganz vorsichtig raus in den Garten, jeder von einer Seite des Hauses und seht mal, ob dort jemand an den Fenstern lauscht.“
    „Ist das schon mal passiert?“ fragte Sebastian verwundert.
    „Sicher“, bekräftigte der Pfarrer, „sonst würde ich das doch jetzt nicht sagen.“
    „Und wie ist es dann mit Abhörwanzen?“ wollte Sebastian mit einer umfassenden Handbewegung durch den Raum wissen.
    „Hab’ noch nichts bemerkt. Ein Elektriker hat alles abgesucht, aber nichts gefunden.“
    Schließlich schlichen Hans-Peter und Sebastian ums Haus, trafen dort und auch im Vorgarten aber niemanden an. Der Garten lag im Dunkeln, nur zur Straße hin fiel etwas Licht von den Lampen dort ins Gebüsch und erzeugte im leichten Nachtwind Schattenreflexe, die versteckte oder flüchtende Gestalten vortäuschten.
    „Hier ist niemand“, erklärte Sebastian schließlich, „aber wir müssen uns vorsehen“, wandte er sich an Hans-Peter. „Wenn die Kunzmann schon unter den Fenstern belauern“, sagte er, „dürften gerade wir

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