Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
verstümmelter Frauenleiber in diesen erdbraunen Kitteln, Flintenweiber, schrecklich...“ Pfarrer Kunzmann stemmte sich schließlich aus seiner knienden Haltung, als hebe er sich aus dem Schützengraben, sprang von der Couch, schüttelte die Arme aus und saß dann wieder harmlos und gesittet da, prostete den Freunden zu und trank das Glas in einem Zug leer.
„Haben Sie das tatsächlich selbst so erlebt, waren Sie wirklich dabei?“ wollte Sebastian wissen.
„Leider“, sagte der Pfarrer, „ich war noch jung und da mittendrin, ja, ich habe es selbst erlebt! Ich habe nichts mehr gefühlt, nichts gehört, nur noch scharf gesehen, mit dem kurzen Spaten gezielt und geschlagen. Die Gestalten dort in bräunlichen Kitteln, mit Koppeln zusammengeschnürt und Kappen auf den Köpfen mit so herabhängenden Ohrenschützern. Lange Messer in den Fäusten, wenige mit Pistolen. Ich habe nur geschlagen, auf Arme geschlagen, Köpfe gespalten, mit einer unbändigen, ganz unnatürlichen, nicht nachlassenden Kraft. Aber diese mörderische Wut hat in einem selbst ein Stück Leben verbraucht, das nicht mehr zu ersetzen ist. Man ist aus all dem als Invalide hervorgegangen, wenn auch ohne Zeichen einer äußeren Verletzung.
Wie wir alle damals danach aussahen, will ich lieber gar nicht beschreiben. Diese Hände hier“, und er hielt sie geöffnet vor sich, drehte sie hin und her, sah sie an, kleine, weiße, glatte Hände, „diese Hände“, sagte er, „haben Menschen hingerichtet, die uns zugetrieben wurden. Neben dem Blutgeruch zog durch den Graben auch Alkoholdunst. Diese armen Mädels, die da herangestürmt waren, hatten sich zuvor Mut antrinken müssen, um absehbar sinnlos in ihren Tod zu rennen.
Es waren alles sehr junge Frauen, wie wir dann später feststellen mußten. Und wir? Wir waren fast alles sehr junge Männer. Ist sowas nicht irrsinnig?“ fragte der Pfarrer und sah die Freunde an. „In friedlichen Zeiten“, sagte er, „hätte man sich in das eine oder andere Mädel vielleicht verliebt, statt es zu erschlagen. Hübsche Mädels dabei, wenn man von den unförmigen Uniformen absah. Ich konnte und wollte dann gar nicht mehr hinsehen. Diese Gräben wurden zu Massengräbern, von Panzern einfach zugefahren. Diese Töchter und jungen Bräute, getilgt von der Welt“, sagte er und goß die Gläser voll. „Trinken wir auf die Freiheit“, und er hob das Glas, „auf daß Menschen nicht mehr gegen ihren Willen gezwungen werden andere umzubringen.“
Auch Hans-Peter und Sebastian hoben ihre Gläser und tranken auf diese Freiheit.
„Was mag in so manchen dieser jungen Mädchen vorgegangen sein, als sie den Wodka vor ihrem Sturmlauf trinken mußten?“ sinnierte Pfarrer Kunzmann. „Natürlich die Deutschen, wir, wir sollten demoralisiert werden, das ist klar. Ich weiß nur nicht“, sagte er, „ich weiß nicht, ob wir damals die nächste Welle eines Frauenbataillons, die Gott sei Dank nicht kam, ausgehalten hätten. Vielleicht wären wir aus dem Graben nach rückwärts geflüchtet – ich weiß es nicht... doch wahrscheinlicher, wir hätten sofort schon von weitem mit Maschinengewehren und Geschützen draufgehalten. Mit dem Feldspaten, nein, das mit dem Feldspaten hätten wir wohl nicht noch einmal geschafft.“ Und Pfarrer Kunzmann wischte sich mit der Hand über sein noch immer gerötetes Gesicht. „Ach, lassen wir das“, sagte er schließlich.
„Was meinen Sie denn, warum Gott sowas zuläßt“, wollte Sebastian wissen.
„Eine millionenfach gestellte Frage, weshalb Gott so manches zuläßt“, entgegnete der Pfarrer, „und die Kirchen“, sagte er, „die Kirchen haben immer die gleichen Antworten. Ich“, bekräftigte er, „ich, ehrlich gesagt, habe sie nicht.“
„Woher sollen wir wissen, in welchem großen Zusammenhang alles seinen Sinn hat? Ich dachte, Christus hat es den Menschen gesagt“, mischte Hans-Peter sich ein.
„Ja, schon“, entgegnete der Pfarrer. „Er hat den Menschen, die daran glauben, als einzelnen einen Lebenssinn gegeben.“
„Und der kommt von Gott?“ fragte Hans-Peter.
„Ja, natürlich“, sagte Pfarrer Kunzmann, „alles kommt von Gott.“
„Vom Gott welcher Kirche, welcher Religion“, fragte Hans-Peter.
„Ganz unter uns“, sagte der Pfarrer und grinste schelmisch, „es gibt nur einen Gott und es ist immer und überall derselbe. Nur was der Mensch hineinsieht, das ist unterschiedlich und nicht selten tödlich.“
„Was Sie hier sagen“, bemerkte Sebastian ebenfalls
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