Als der Tag begann
dass sie für ihr Alter reif wirkte.
»Klar, ich kann mir schon vorstellen, dass du älter wirkst. Aber trotzdem behandelt er dich besser gut«, drohte ich spielerisch.
»Süße, du hast keine Ahnung«, erwiderte sie und zwinkerte mir zu.
Während wir in dieser Nacht im Dunkeln im Bett lagen, klärte Sam mich in allen Fragen auf, die ich jemals zum Thema Sex gehabt hatte.
»Na ja, Brick und meine Mutter haben’s getan, das weiß ich. Manchmal schlafe ich auf dem ausklappbaren Sessel in ihrem Zimmer, um in Mas Nähe zu sein. Und dann kommt sie aus der Kneipe und bittet ihn um Geld: ›Brick, hast du fünf Dollar für mich? Bitte, nur fünf.‹ Erst sagt er so was wie ›Nein, Jean‹, aber dann höre ich, wie das Bett quietscht. Dazu die ganzen platschenden
Geräusche, und dann rascheln Geldscheine. Und schwupp, schon ist sie wieder unterwegs. Keine Ahnung, aber ich glaube, das hat mir so ein Gefühl vermittelt, dass ich nichts mit Sex zu tun haben will. Als ob das was Ekliges ist.«
»Liz, damit hat das nichts zu tun, ich meine, das , was die machen, ist voll daneben, aber Sex kann wirklich toll sein. Oscar ist toll.« Ich hörte Sams Beschreibungen genau zu, wie Oscar und sie ihre Körper miteinander teilten, wie gewisse Bewegungen, sobald sie an bestimmten Stellen des Körpers ausgeführt werden, einen mitrissen und zum Schwitzen brachten und ein »prickelndes Erschöpfungsgefühl« auslösten, das Liebe mit sich brachte.
»Er liebt mich«, sagte sie. In meinem Bett über ihr ließ ich meinen Körper total erschlaffen und versuchte, mich in dieses »prickelnde Erschöpfungsgefühl« hineinzuversetzen. Das mit der Liebe war das Verwirrendste an der ganzen Sache.
Während sie weiterredete, schloss ich die Augen, um mir ihre Schilderungen bildlich vorstellen zu können, aber die Szene wurde überlagert von einer Erinnerung an Carlos und mich, wie wir in Harris Field unter einem glitzernden Sternenhimmel im Gras lagen. Der zärtliche Austausch, den Sam beschrieb, schien nicht ins Bild zu passen; es war zu schwierig, meinen Körper mit irgendeiner Liebesaktion in Verbindung zu bringen, selbst wenn ich mich noch so anstrengte. Trotzdem behielt ich diese Szene während ihres Vortrags in meinem Kopf, versuchte, mir Oscar als Carlos vorzustellen, während ich Sams Platz einnahm, und das alles dann zusammenzubringen, verlor aber immer wieder den Faden.
Hätte ich bei meinem Abgang gewusst, dass es kein Zurück mehr gab, keine Rückkehrmöglichkeit unter ein Dach über meinem Kopf, dann weiß ich nicht, ob ich es genauso gemacht hätte. Überhaupt, ist es nicht genau dieses Wissen, ganz allein für sich selbst verantwortlich zu sein, das tatsächlich die Grenze zieht zwischen Kind- und Erwachsensein? Wenn ja, dann endete meine Kindheit mit fünfzehn.
»Was soll das? Was glaubt ihr eigentlich, was ihr da macht? Das hier ist kein Auffanglager! Raus hier, los!«
Ich werde mich immer fragen, was Brick auf die Spur von Sams Versteck brachte. Unser Lachen vorm Zubettgehen in dieser Nacht? Lisa? Sam und ich weckten sie regelmäßig mit unserem nächtlichen Gequatsche auf, aber wir weigerten uns, als Gegenleistung für ihr Schweigen auch nur ein einziges Mal ihre Wäsche für sie zu machen. Hatte sie es aus Boshaftigkeit getan? Wenn nicht, wie hat er es dann herausgefunden?
»Das hier ist mein Haus«, schrie Brick über unsere Köpfe hinweg. Eine Zigarette zwischen die Finger geklemmt, hob er das Bettlaken hoch, das wir als Sichtschutz vor das Etagenbett gehängt hatten, und legte somit Sams Versteck frei. Sein stämmiger Körper rückte bedrohlich näher, und er hatte wie immer, wenn er wütend war, eine feuchte Aussprache. Wir hatten beide Angst vor ihm. Ich setzte mich aufrecht hin, bildete mit meinem Körper eine Barriere, um sie vor ihm zu schützen; Sam rutschte in eine Ecke und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Es war fast drei Uhr morgens, und das Licht dieser nächtlichen Stunde ließ die Figuren als Angst einflößende Schatten über die Wand huschen. Brick war eine von ihnen, ein Zigarettenmonster, das uns bedrohte. Wir sagten nichts, als er nur noch schnaufend vor dem Bett stand und uns anstierte. »Mach nur weiter so, und du fliegst auch bald raus«, sagte er schließlich und sah mir direkt in die Augen. »Raus hier, los jetzt!«, wiederholte er an Sam gerichtet, unterstrichen mit einer wütenden Handbewegung. Dann verschwand er mit einer Wolke Marlboro-Rauch im Schlepptau und schlug die Schlafzimmertür
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