Als der Tag begann
seinem Platz direkt vor der Badezimmertür weg, egal, wie sehr ich darauf bestand. »Ich komme jetzt klar, Carlos, wirklich.« Stattdessen sprach er Ma direkt durch das dünne Holz der Tür an.
»Jean, Liz hat mir erzählt, dass Sie sie immer Ihren Schatz nennen. Das finde ich wirklich süß. Für mich ist sie das Kleeblatt, weil sie der beste Glücksbringer ist, der mir je über den Weg gelaufen ist. Ich weiß, dass Sie nachts auch viel mit ihr geredet und immer an ihrem Bett gesessen haben, um ihr Gesellschaft zu leisten.« Mas Augen öffneten sich müde. Tränen quollen unter ihren Lidern hervor, während sie und ich Carlos’ tiefer Stimme lauschten, die im Badezimmer vibrierte. »Meine Mom hatte auch ein Problem mit Drogen, wissen Sie. Ich wünschte mir, sie hätte sich so viel um mich gekümmert, wie Liz mir das von Ihnen erzählt hat. Ich find’s toll, dass Sie darauf Wert gelegt haben. Ich weiß, Liz liebt Sie, und sie ist stolz darauf, wie lange Sie kein Koks angerührt haben. Sie haben es weit gebracht, Jean. Sie sollten auch stolz auf sich sein.« Ich tauchte meine Hand in das warme, durchsichtige Badewasser ein, um die ihre zu halten. Sie schloss wieder die Augen und lächelte schwach.
»Ich liebe Liz auch. Sie ist mein Baby«, sagte sie weich. Sie wandte sich an Carlos, aber ich bin wohl die Einzige gewesen, die es hören konnte. Die Schwachheit ihrer Stimme sorgte dafür, dass ich Tränen hinunterschlucken musste. Es war lange her, dass sie das gesagt hatte.
Carlos hatte mir genau zugehört und alle Einzelheiten behalten. Er hatte meine Mutter als Mensch wahrgenommen, mit ihr geredet, hatte keine Berührungsängste gehabt und mir geholfen, sie zu versorgen.
Als ich meine Mutter ins Bett gebracht hatte und mich zum Aufbruch bereit machen wollte, saß Carlos bei ihr am Bett. Vom Flur aus beobachtete ich verwundert, wie er die Hand meiner Mutter hielt und beruhigend auf sie einredete, bis sie eingeschlafen war. Bevor er das Zimmer verließ, kniete er sich hin und steckte die Decke um sie herum fest. Dann gab er ihr leichten, unglaublich zärtlichen Kuss auf die Stirn und strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
»Schlaf gut«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung, schlaf gut.«
Carlos nahm meine Hand, führte mich an Sam und Bobby, die vor dem lärmenden Fernseher saßen, vorbei in die Küche, wo er mich zu einem Stuhl geleitete und mich hinsetzte. Er blieb genau vor mir stehen. Nur wir beide. Er hatte gesagt, er liebe mich und es gäbe jetzt nur noch uns beide.
»Sieh mich an«, sagte er. Aber das konnte ich nicht. Ich hatte Angst, er könnte alles sehen, meine Hoffnung, meine wachsende Zuneigung für ihn und meine Sorgen um Ma.
»Sieh mich an«, wiederholte er eindringlich und nahm meine Wangen in seine starken Hände und blickte mir in die Augen. »Mach dir keine Sorgen, Liz. Ich stehe das hier mit dir gemeinsam durch.«
Ich begann zu weinen.
»Ich stehe das mit dir durch, Liz, keine Frage. Ich bin hier.« Er wischte meine Tränen mit seinen Daumen weg, küsste mich auf die Stirn, küsste mich auf die Wangen. Und dann küsste er mich auf den Mund, zärtlich, behutsam. Ich erwiderte den Kuss und schmeckte Salz, spürte die borstigen Haare von seinem Ziegenbärtchen, spürte seine Stärke, die mich festhielt.
»Ich liebe dich auch«, sagte ich und lehnte mich zurück, um ihm in die Augen zu sehen.
»Was hast du gesagt, Kleine?«
»Ich liebe dich auch, Carlos. Ich liebe dich.«
Seine Umarmung wurde stärker. »Ich bin hier«, wiederholte er. Er drückte meinen Kopf an seine Brust, und ich lehnte mich fest an ihn an, um seine Wärme zu spüren und seinen Herzschlag an meinem Ohr, gleichmäßig, beruhigend. Ich fürchtete mich davor, wie sehr ich darauf angewiesen war, dass er niemals wegging.
In der Zeit, die ich mit Carlos verbrachte, lernte Sam auf der anderen Seite der Parkanlage einen Jungen kennen, der Oscar hieß. Er war zwanzig; Sam war ein paar Tage vor ihrem ersten Kuss vierzehn geworden.
»Kein Problem. Er sagt, ich bin reif für mein Alter. Er mag mich wirklich«, berichtete sie mir eines Nachts von ihrem Lager unter dem Etagenbett, nachdem Carlos mich nach Hause gebracht hatte. Wir teilten uns eine große Schachtel Oreos-Kekse und eine Müslipackung Apple Jacks aus Bricks Vorräten. »Egal, wir treffen uns ja nur. Und außerdem ist er ein echt heißer Typ.« Sie grinste. In Anbetracht dessen, was Sam bereits erlebt und was sie mir davon erzählt hatte, musste ich ihm recht geben,
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