Als der Tag begann
lachend.
»Woher weißt du, dass wir nicht abstürzen?« Sie biss sich auf die Lippe und zog grimassenhaft ein ängstliches Gesicht.
»Dann bring dich mal besser in Sicherheit!«, rief ich. Laut kreischend vor Lachen zog ich mein schwarzgraues Flanellhemd über uns, aufgeputscht durch das Risiko, das wir eingegangen waren, vollgepumpt mit Adrenalin.
Als wir aufwachten, ineinander verknotet, glitten Sonnenstrahlen warm über den Rand meines schwarzen T-Shirts. Ich streckte als Erste meine Nase in die Luft. Es dämmerte gerade erst, und einige ältere Asiatinnen standen Arme schwingend in unserer Nähe, alle im Gleichklang und langsam, wie unter Wasser. Sam schirmte ihre Augen mit einer Hand ab, sah ihnen blinzelnd zu und fragte mich: »Was zum Teufel machen die denn da?«
»Guten Morgen«, erwiderte ich und zupfte ein paar Blätter aus ihren Haaren. »Ich glaube, das heißt Tai-Chi.«
Eine ganze Weile saßen wir einfach nur da, während die Sonne aufging und ihr Gold über die Dächer strömte und die Frauen ihren Unterwassertanz aufführten, während die Vögel sangen und in den Bäumen umherflatterten.
»Wir haben’s geschafft.« Schnuppernd nahm ich die frische Morgenluft wahr.
»Jupp«, ergänzte Sam, »und vielleicht wird es gar nicht so schlimm, wie wir dachten.«
»Ich habe eine Idee.« Ich stand auf, bürstete mich ab und streckte ihr eine Hand entgegen.
Nur ein paar Blocks entfernt duckten wir uns vor Bobbys Wohnhaus hinter den parkenden Autos und warteten darauf, dass Paula zur Arbeit ging.
»Ich glaube, sie geht immer so kurz nach sieben los«, klärte ich Sam auf. »Lass uns einfach hier warten.«
Von Zeit zu Zeit ging die Eingangstür auf, und Leute auf dem Weg zur Arbeit traten in den frischen Morgen hinaus. Frauen mit gut sitzenden Frisuren, zugeknöpften pastellfarbenen Blusen, schwarzen Hosen und Schuhen mit Absätzen klapperten den Hügel hinauf los. Kinder wurden aus der Tür hinausbegleitet und an der Hand zur Schule gebracht. Männer in Hemd und Krawatte mit großen Uhren hängten sich deren Schultaschen über die Schulter. Sie gehörten alle zu den Arbeitnehmern, die in Manhattan an der Rezeption, im Einzelhandel oder am Empfang eines Restaurants angestellt waren. Rasierte, frisch geduschte, Walkman tragende Menschen, die scharenweise zur U-Bahn strebten – anders als die auf der University Avenue, wo nur wenige morgens unterwegs waren und diese wenigen sich den Bürgersteig mit Junkies und Betrunkenen teilten, die nach einer langen Nacht noch dort herumhingen.
»Da ist sie«, flüsterte Sam und duckte sich noch tiefer hinter das Auto. Paula trat mit einem gedankenverlorenen Ausdruck auf ihrem Gesicht aus der Lobby. Sie blickte auf die Uhr und ging auf ihr Auto zu, in dem sie sich eine Zigarette anzündete, ausparkte und wegfuhr, mit zunehmender Entfernung immer kleiner werdend. Sie war kaum weg, da hörten wir Bobbys Musik, harten, schnellen Punk, aus dem Fenster im ersten Stock dröhnen.
Sobald wir drinnen waren, machten wir uns über den Kühlschrank her und schlemmten die Reste vom gestrigen Abendessen, Schweinekoteletts mit Reis, die in Alufolie verpackt waren. Sam und ich reichten uns immer wieder gegenseitig Limonade, um das Essen hinunterzuspülen.
»Seht zu, dass ihr wieder weg seid, wenn meine Mom um halb vier zurückkommt«, sagte Bobby, als er zur Schule aufbrach. Ich umarmte ihn fest zum Abschied.
»Danke, Bobby«, flüsterte ich. »Wir wissen das wirklich zu schätzen.«
Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, nutzten wir seine Wohnung als Versorgungsstation, sie wurde zu einer Haltestelle am Straßenrand, bevor es wieder weiterging.
»Süße, als Erstes brauche ich eine Dusche«, sagte Sam.
»Ganz deiner Meinung«, gab ich zurück und wedelte dabei mit gerümpfter Nase vor uns durch die Luft. »Du müffelst.« Sie zog Luft durch die Zähne ein und zeigte mir scherzhaft den Stinkefinger.
Mit Wasserrauschen im Hintergrund blätterte ich durch die Seiten des Heftes, das Sam mir vor ein paar Wochen geschenkt hatte und das ich als Tagebuch nutzte, vorbei an Mas Foto, vorbei an Gedichten, die Sam im Treppenhaus oder unter meinem Bett geschrieben hatte, und schlug eine leere Seite auf.
Hallo Tagebuch,
Sam und ich sind frei. Wir tun’s tatsächlich. Heute
treffen wir uns mit Carlos. Er wird stolz darauf sein,
dass wir endlich nach vorn blicken.
Bin im Moment zu aufgeregt, um zu schreiben.
Liz
Nachdem wir beide geduscht hatten, nahm ich Paulas White-Rain-Deo
Weitere Kostenlose Bücher