Als der Tag begann
klaren Gedanken: Freunde bezahlen dir nicht deine Miete . Es war ein schlichter, machtvoller Gedanke, der mich wie ein Schlag traf, als ich eines Nachts bei Bobby auf dem Futon einzuschlafen versuchte. Aber so einfach dieser Gedanke auch war, verursachte er dennoch eine große Veränderung in meinem gesamten Denken. Freunde sind großartig. Sie lieben dich, sie unterstützen dich, sie sind lustig – aber Freunde bezahlen nicht deine Miete. Vorher hatte ich mir noch nie ernsthaft Sorgen gemacht, eine Miete zahlen zu müssen, aber jetzt war es unerlässlich. Meine Idee Tatsächlich eine Wohnung finden und das Geld für die Miete auftreiben nahm gerade Form an, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel: alles, was bis dahin Raum in meinem Leben eingenommen hatte (Carlos, Freunde, Rumhängen, meine Vergangenheit) – nichts davon finanzierte meine Miete. Das Bezahlen einer Miete erforderte, dass man die Aufmerksamkeit auf etwas Neues richtete.
Nachdem ich ein paar Wochen lang so abhängig von allen möglichen Leuten gewesen war, fing ich damit an, ein paar Nächte in der Woche allein in der U-Bahn zu schlafen. Auf der hintersten Sitzbank des Abteils sah ich wie jeder x-beliebige Benutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln aus, der auf seinem Weg nach Hause vom Rhythmus der Fahrgeräusche in den Schlaf gelullt wurde. Niemand musste sich unnötig Gedanken machen. Aber es war keine gute Lösung. Manchmal trieben sich Schlägertypen im Zug herum, Teenager mit Kapuzen und Hosen bekleidet, die ihnen halb herunterhingen. Sie brüllten sich laut an und beherrschten den ganzen Wagen. Ich wachte ein paarmal auf, weil sie mich anstarrten, sonst passierte aber nichts. Reine Glückssache. Also machte ich Hausflure zu meinem Hauptunterschlupf, da war ich auf der sichereren Seite.
Der oberste Treppenabschnitt, egal, von welchem Gebäude in Bedford Park, ließ mich eher zur Ruhe kommen. Lang ausgestreckt auf einer kalten Marmormatratze, mit meinem Rucksack
als Kissen, wurde ich Zeuge der Lebenswelten unter mir: des Geruchs, wenn gekocht wurde, der Streitereien von Liebespärchen, von Geschirrklappern und Fernsehern, die voll aufgedreht wurden und in denen meine früheren Lieblingssendungen Die Simpsons und Jeopardy ! liefen – das alles versetzte mich zurück in die University Avenue. Hauptsächlich hörte ich aber Familien zu: Kinder, die nach ihren Müttern riefen, Ehemänner, die den Namen ihrer Frauen aussprachen. Es erinnerte mich daran, wie die Liebe zwischen einer Handvoll Menschen einen Raum füllen kann und ihn in ein Zuhause verwandelt. Ich fragte mich, wie es Lisa wohl bei Brick erging. Wie kam sie mit der Schule zurecht, wo wir doch gerade erst Ma verloren hatten? Ich hatte nicht die Kraft, sie anzurufen; ich wusste, ich könnte mit den Fragen, die sie mir garantiert stellen würde, nicht umgehen: »Was machst du da draußen, Liz? Was machst du da aus deinem Leben? Gehst du irgendwann wieder zur Schule?« Es war einfach alles zu viel, also hielt ich Abstand.
Nachts hatte ich oft Heimweh, und wie ich so sehr um Geborgenheit und Sicherheit kämpfte, wurde mir klar: Ich hatte keine Ahnung, wo mein Zuhause war.
Manchmal wusste ich beim Aufwachen nicht sofort, wo ich mich befand. In den ersten paar Sekunden könnte es auch in meinem Zimmer in der University Avenue sein, nebenan die Schritte von Ma und Daddy, die zu ihren nächtlichen Drogeneinkäufen aufbrachen. Oder bei Brick, mit Sam unter mir in greifbarer Nähe. Aber wenn sich meine Augen ans Licht gewöhnt hatten, waren es immer die Lebensumstände anderer Leute, vertraute Gespräche, die mich umgaben, und ihre Gerüche in der Luft. Ich war ständig woanders, entweder bei Bobby oder bei Fief oder an einem der anderen zufällig ausgewählten Plätze, auch mal bei Freunden von Freunden.
Dann verbrachte ich eine ganze Woche bei diesem einen Mädchen. Die Jungs hingen da oft ab, zusammen mit Danny, einem Freund von Bobby, der über die Jahre immer mal wieder in unserer
Gruppe aufgetaucht war und den ich mittlerweile zu meinen Freunden zählte. Er war ein gut aussehender Puerto Ricaner, groß, mit hellem Teint und riesigen haselnussbraunen Augen. Genau wie Bobby liebte Danny Videospiele und das Abhängen inmitten unseres Pulks. Er kam immer mit einer anderen Freundin an; dazu tauchten noch einige andere Mädchen auf, die sich für seine einzige Freundin hielten. Paige war seine letzte Eroberung. Er war gerade erst bei ihr eingezogen und nahm uns mit zu ihr.
Paige war
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