Als der Tag begann
ein Höhepunkt in ihrer Woche – verlaufen sei. Ihre Antworten waren immer kurz und bündig und wurden mit einem zufriedenen Lächeln vorgetragen.
»Alles war einfach wunderbar, Liebes. Ich bin nur glücklich, dass ich von unserem Herrn noch einen weiteren Tag erhalten habe, an dem ich meine hübschen Mädchen besuchen kann.«
Grandma war tief religiös. In ihrer hellbraunen Handtasche aus Kunstleder – die sie unter den Arm klemmte, egal, wohin sie ging, sogar ins Badezimmer (eine Angewohnheit, die sie auf »diese schmierigen Gauner im Heim« zurückführte) – trug Grandma eine King-James-Ausgabe der Bibel, Lipton-Teebeutel und zwei Schachteln Pall-Mall-Zigaretten, ihre »Kippen«, mit sich herum.
Normalerweise interessierte sich niemand außer mir für ein Gespräch mit Grandma. Ma sagte, Grandma fühle sich im Heim so einsam, dass sie jedem, der ihr zuhörte, ein Ohr abquatschen würde, und zwar zu einem einzigen Thema, der religiösen Erziehung. Ma war der Überzeugung, dass auch ich irgendwann die Lust verlieren würde, wie jeder andere auch, wenn ich erst mal begriffen hätte, dass Grandma »nicht ganz da« sei.
»Sie hat nicht alle Tassen im Schrank«, sagte Ma immer. »Ich schätze mal, sie war sich über die Dinge nicht im Klaren, denen sie mich ausgesetzt hat. Eines Tages wirst du verstehen, was ich meine, Lizzy.«
Ich konnte mir das nicht vorstellen. Grandma war anders als
alle Erwachsenen. Sie reagierte nachsichtig auf jede einzelne meiner Fragen, egal, wie viele ich stellte. Meine Wissbegierde reichte von der Erkundung, woraus Regenbögen bestehen, bis zu der Frage, wer Ma als kleines Kind ähnlicher sah, Lisa oder ich. Und Grandma war da und bereit, Antworten zu allem zu geben, wobei sie ihre gesammelten Erklärungen aus ihrem religiösen Fachwissen ableitete und mir versicherte, dass alle Rätsel dieser Welt Gottes Werk seien. Ma beobachtete uns vom Flur aus und stellte fest, dass der liebe Gott uns füreinander bestimmt hatte.
Grandma richtete sich in unserer Küche häuslich ein und bot jedem, der wollte, Tee und eine Bibellesung an. Ich mochte den süßen Geschmack ihres Tees, nachdem sie zwei Löffel Zucker und ein bisschen Milch, die sich wie ein Rauchkringel aus Mas Zigarette durch die Flüssigkeit zog, hineingerührt hatte. Ich saß dann mit angezogenen Beinen da, das Nachthemd über die Knie gespannt, nippte an dem warmen Getränk und hörte ihren Beschreibungen zu, wie Sünden die Bösen vom Himmel fernhielten.
»Fluche nicht, Lizzy. Gott belohnt ein faules Mundwerk nicht. Putze ab und zu die Wohnung für deine arme Mutter. Gott sieht und hört alles, und er vergisst niemals. Er weiß, wenn du anderen nichts Gutes tust. Vertrau mir, kleine Miss, es wird viele Sünder geben, die niemals die Himmelspforte hin zu Gottes Gnade durchschreiten werden. Sei vorsichtig, Gott ist unser Herr, und Er ist allmächtig. «
Das einzige Thema ohne religiösen Bezug, das Grandma zu einem Gespräch taugte, betraf meine Berufswünsche, wenn ich mal erwachsen wäre.
»Komiker. Ich will auf einer Bühne Witze erzählen«, verkündete ich in Erinnerung an die Nächte, in denen ich im Fernsehen Männer in Anzugjacken beobachtet hatte, die einem unsichtbaren Publikum hibbelig Anekdoten erzählten. Ihr Selbstvertrauen stieg sichtlich mit jedem explosionsartigen Lachanfall. Ich ging eigentlich davon aus, dass Grandma von dieser Idee genauso beeindruckt wäre wie ich. Stattdessen sah sie mich besorgt an und
stellte ihr Glas ab, um einen Finger in die Höhe gen Himmel zu strecken.
»Ach, du lieber Gott, nein, tu das nicht, Lizzy. Tu das nicht. Lizzy, niemand wird lachen. Süße, werde Dienstmädchen. Ich fing mit sechzehn auch als Dienstmädchen an. Das wird dir gefallen. Du wirst bei einer netten Familie wohnen, und wenn du dich gut um ihre Kinder kümmerst, kannst du umsonst essen und deinen Lebensunterhalt ehrlich und fleißig verdienen, sodass Gott stolz darauf wäre. Klingt das nicht wunderbar? Werde Dienstmädchen, Lizzy. Außerdem ist das eine gute Vorbereitung auf einen eigenen Ehemann, du wirst sehen.«
In meinem Alter war es schwierig zu verstehen, was Grandma damit meinte. Ich stellte mir eine Ehefrau und einen Ehemann an einem viereckigen Tisch in einem großen, viereckigen weißen Haus vor. Ihr Kleinkind, pummelig und weinerlich, wartete darauf, von mir bedient zu werden, genau wie das Paar, dessen Gesichter ausdruckslose Flecken waren. Grandma lächelte mich beruhigend an, und ich lächelte
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