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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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einen Hausaufgabenterminplan einzuhalten, der darüber bestimmte, welche konkreten Bücher ich wann benötigte, genau dann machte ich Fehler.
    Wenn meine Planung nicht korrekt war, strandete ich am Abend bei Bobby oder Fief oder Jamie mit dem falschen Buch. Die Konsequenz eines derartigen Irrtums war, dass ich die falschen Unterlagen für die Vorbereitung einer bestimmten Aufgabe dabeihatte, was wiederum den Unterschied zwischen sehr gut und gut ausmachen konnte – und in einer Prüfung vielleicht noch einen schlimmeren Notenabfall zur Folge hatte. Zwischen meinen vielen Kursen, meinen unterschiedlichen Schlafplätzen und meinen anwachsenden Hausaufgaben gab es für mich einfach viel zu viele Variablen, die ich im Kopf parat haben musste, um alles immer hundertprozentig hinzukriegen. Um das Problem zu lösen, fing ich damit an, meist meine gesamten Lehrbücher mit mir herumzutragen, zusammen mit meinen Klamotten, meinem Tagebuch, Mas NA-Münze und ihrem Foto, meiner Zahnbürste und meinen Waschutensilien. Ich stopfte einfach alles in eine einzige riesige Tasche. Aber die war unglaublich schwer, wodurch es anstrengend wurde, sich frei in der Stadt zu bewegen. Ihre Trageriemen schnitten mir in die Schultern und rieben die Haut wund. Mein Rücken tat mir jeden Tag mehr weh.

    Dann war da noch der Schlaffaktor. Manchmal ließen mich die Eltern meiner Freunde über Nacht bleiben, manchmal nicht. Musste ich mich heimlich in die Wohnung eines Freundes schleichen, hieß das zu warten, bis die Eltern ins Bett gegangen waren, was wiederum zur Folge hatte, dass ich meine Hausaufgaben oder mein Nickerchen im Treppenhaus erledigte, bis irgendwann spätnachts die Luft rein war. Ich betrat dann die Wohnungen so leise wie möglich und schlüpfte bei jemandem auf den Futon oder hinter das Bett auf den Boden, versteckt unter einer Decke, für alle Fälle. Ein paarmal döste ich bei einem Freund in einem riesigen Kleiderschrank. Meistens musste ich aber auch morgens aus der Wohnung sein, bevor die Eltern wach wurden. Also hatte ich einen kleinen Wecker mit Vibrationsalarm in meiner Tasche, damit ich leise gewarnt wurde, wenn es Zeit zum Aufstehen war. Ging der Alarm los, egal wo, stand ich lautlos auf, stieg in meine schwarzen Stiefel, schlich auf Zehenspitzen zu meiner Tasche und hievte sie mir – mit großer Mühe – auf den Rücken, und dann ließ ich leise die Tür ins Schloss fallen. Manchmal verbrachte ich die verbleibenden Stunden zwischen fünf und sechs oder halb sieben morgens auf einem Treppenabsatz in einem Hausflur und döste weiter. Manchmal ging ich von dort aus auch direkt zur Schule, während die Sonne gerade aufging und die Luft noch kühl war von der Nacht und die Gitter vor den Läden noch heruntergezogen waren, noch außer Betrieb.
    Und dann waren da noch die zu erledigenden Hausaufgaben, noch so ein schwerwiegendes Detail. Wie sich herausstellte, brauchte ich ein gewisses Maß an Schlaf, um klar genug denken zu können, damit ich eine gut geschriebene Arbeit einreichte, die es wert war, eine sehr gute Note zu erhalten. Ohne ausreichend Schlaf war mein Hirn völlig benebelt, und ich bekam nicht die angepeilten Bestnoten. Aber ich schlief eben nicht immer genug, wenn ich mich nach den Zeitplänen meiner Freunde richten musste, sondern eher dann, wenn ich in einem Hausflur ganz nach oben ging und mich dort auf den Treppenabsatz legte, für
mich allein war. Wenigstens hatte ich da ein bisschen Privatsphäre, und solange ich mir ein einigermaßen sauberes und sicheres Gebäude aussuchte, würde mich wahrscheinlich auch niemand belästigen. Ich konnte dann im Licht der Treppenhausbeleuchtung arbeiten, auf dem Marmorboden schlafen, mit meinem Pulli als Zudecke und meinen restlichen Klamotten als Kissen. Wenn ich wirklich dringend Schlaf benötigte, funktionierte das in Treppenhäusern am besten.
    Berücksichtigte ich diese Dinge, kam ich meistens ganz gut klar, vor allem durch meine NYPIRG-Ersparnisse, die warmen Mahlzeiten und Vorräte von The Door und besonders durch eine Gruppe von Freunden, die so hilfsbereit waren. Aber es gab auch Momente, mit denen ich schlechter umgehen konnte, Momente, in denen ich gefährlich nahe dran war zu sagen: »Vergiss es.« Vor allem eine immer wiederkehrende Situation drohte mich kleinzukriegen.
    Es erwischte mich an den Tagen, wenn mein Wecker um zwanzig nach sechs morgens losging und ich bei Fief oder in einer anderen Wohnung aufwachte, in der die Eltern abwesend waren, ich mich

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