Als der Tag begann
die Hand, fragte nach, hörte ihren Antworten aufmerksam zu und bot ihnen Unterstützung an. Er behielt ihre Versprechen im Hinterkopf, und er nahm die Schüler in die Verantwortung. »Sag, was du meinst, und meine, was du sagst«, schien sein Motto zu sein. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Von Caleb lernte ich, was es bedeutete, wenn ein Lehrer
verständnisvoll war und von einem Schüler mehr erwartete. Und ich lernte von ihm, was es bedeutete, sich einer Sache zu verschreiben und Stunde für Stunde daran zu arbeiten, dieses Ziel zu erreichen.
Ich wusste, dass Caleb so hart arbeitete, weil ich selbst oft lange in der Prep blieb. An einem kleinen Arbeitsplatz, abgegrenzt durch eine Wand aus übertünchten Betonsteinen und massiven Bücherregalen, beugte ich mich über einen Tisch, um mir selbst beizubringen, wie man einen Computer bediente, damit ich meine Arbeiten fertig schreiben konnte. Diese unhandlichen, rechteckigen Dinger mit den flimmernden Bildschirmen und klobigen Tastaturen waren mir völlig fremd. Ich merkte, dass ich zwei Aufgaben bewältigen musste: Ich musste lernen und gleichzeitig lernen, wie man lernt. Ich hatte das Gefühl, mit Ziegelsteinen in der Tasche einen Berg erklimmen zu müssen. Gerade schrieb ich an einem Aufsatz über Der Fänger im Roggen , während ich lernte, wie man einen Aufsatz schrieb, und während ich lernte, wie man tippte, alles zur selben Zeit. Ich lernte, indem ich mit dem Einfingersystem schrieb und immer wieder durch meine unzähligen Fehler zurückgeworfen wurde, alles verhunzte und noch mal ganz von vorn anfing und noch mal und noch mal. Es war aufreibend. Ich hatte noch nie eine schnelle Auffassungsgabe besessen. Vielmehr musste ich die Fachbücher wieder und wieder lesen, um den Inhalt zu verstehen, und ich brauchte oft zwei- bis dreimal so lang wie meine Mitschüler, bis ich meine Aufgaben erledigt hatte. An den meisten Abenden wurde es so spät, dass die leeren Klassenzimmer der Prep im Dunkeln lagen, die Stühle verlassen im Licht der untergehenden Sonne. Der Hausmeister bat mich, die Füße anzuheben, während er um mich herum den Boden wischte. Caleb war noch in Hörweite und bat Schüler in sein Büro, einen nach dem anderen, während ich endlose Seiten Papier beschrieb, Buchstabe für Buchstabe.
In dieser Umgebung wurde ich endlich erzogen, denn hier wurde mir bewusst, dass ich nicht länger im Bett liegen bleiben und
alles hinschmeißen konnte. Wie sollte ich mir die Decke über den Kopf ziehen, wohl wissend, dass meine Lehrer auf mich warteten? Da sie bereit waren, so hart zu arbeiten, wie konnte ich es nicht genauso machen?
Durch das Lehrpersonal hier lösten sich meine negativen Gefühle gegenüber allem, was Schule betraf, in Luft auf und wurden ersetzt durch eine reale Liebe zum Lernen und schließlich durch eine konkrete Hoffnung für mein Leben.
Meine Gefühle zu den Lehrern spiegelten eins zu eins meine Gefühle dem Leben gegenüber wider. Wenn sie großartig waren, war die Schule großartig. So war es immer bei mir gelaufen. Und wenn die Lehrer an mich glaubten, so war das zumindest der erste Schritt auf einer langen Reise, auf der ich lernte, an mich selbst zu glauben. Das galt vor allem für die Momente, in denen ich so verletzbar gewesen war, damals, als man mich in die Schublade mit der Aufschrift »Schulschwänzerin« und »Disziplinproblem« geschoben hatte. Ich betrachtete mich selbst immer mit den Augen der Erwachsenen, meiner Eltern, der Sozialarbeiter, der Psychiater, der Lehrer. Sah ich in ihren Augen wie eine Versagerin aus, dann war ich eine. Und sahen sie eine begabte Schülerin, dann war ich begabt. Berufstätige Erwachsene besaßen Glaubwürdigkeit und waren meine Messlatte dafür, was rechtmäßig war oder was nicht, mich inbegriffen. Wenn Lehrer wie Mrs Nedgrin mich als Opfer erachteten – ungeachtet ihrer guten Absichten –, hatte ich mich bis dahin ganz genauso gesehen. Jetzt hatte ich an der Prep Lehrer, die mehr von mir erwarteten und mir dadurch halfen, mich der Situation gewachsen zu zeigen. Wenn ich dabeiblieb, konnte ich es schaffen. Die sehr persönlichen Beziehungen zu ihnen in dieser besonderen, vertrauensfördernden schulischen Umgebung ließen mich daran glauben.
In den Jahren, die ich an der Prep verbrachte, lernte ich eine Menge. Ich begeisterte mich für Shakespeare (bei Schulaufführungen spielte ich Hamlet und Macbeth); ich machte in der Schülerselbstverwaltung mit, und ich reiste mit anderen Schülern
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