Als der Tag begann
zu.
Ken schleuderte ein Kissen auf einen bestimmten Schlafsack und lehnte sich zurück. Anna verkündete, dass »ihr Lied« gerade gespielt wurde, und drehte das Radio lauter, wobei sie ihre rötlich braune Mähne nach hinten strich. What’s Up der Four Non Blondes schallte durch den Keller. »Wahnsinn!«, kreischte sie begeistert. Anna und Kat übernahmen die Backgroundstimmen und sangen mit. Ken lachte und blickte sich um. Hatte er mich gerade angesehen, oder bildete ich mir das nur ein? Ich war mir ziemlich sicher, dass er mir einen Blick zugeworfen hatte. Ich fixierte ihn und lächelte zurück.
Unter dem Vorwand, ins Bad zu müssen, stand ich auf, und als ich ein paar Minuten später zurückkehrte, verlegte ich meinen Schlafplatz in unserem Kreis ultrabeiläufig neben den von Ken. Zwei Stunden später lagen Chips und Sandwichkrümel auf dem Boden herum, und es war dunkel geworden im Zimmer. Jeder schlief irgendwo im Raum verteilt in seinem Schlafsack ein. Ken lag wie geplant direkt neben mir. Hier in dem dunklen, stillen Raum musste unser Informationsaustausch ab jetzt kodiert ablaufen.
In der Stille bedeutete ein Husten: Ich bin noch wach, Ken, nur falls du denkst, ich sei schon eingeschlafen. Aufstehen, um Wasser zu holen, hieß: Rück näher an meinen Platz heran, während ich weg bin . »Zufällig« mit dem Fuß gegen Kens Fuß zu stoßen, war erotisch. Ich wartete in der Stille auf seinen Vorstoß. Nichts. Die Luft im Keller war wegen der zischenden Heizungsrohre trocken und stickig. Mondlicht strömte durch winzige Fenster hinein und erhellte Fotos seiner kleinen Schwester: zwei Teenager mit den gleichen Freundschaftsbändern ums Handgelenk, die an einem sonnigen Strand irgendwo weit weg eine Schildkröte in die Höhe hielten. Ich wartete. Nichts. Dann, ganz plötzlich, ein Zeichen!
Ein Geräusch, ein Signal, eine Bewegung! Ich verharrte regungslos. Da ertönte Kens Schnarchen und überlagerte sogar noch die zischende Heizung. Er war ohne Zweifel tief und fest eingeschlafen.
Am nächsten Morgen deckte Kens Mutter den Tisch mit in Servietten gewickeltem Besteck, wie bei Tony’s. Sein Vater kam mit Schweißflecken unter den Armen seines T-Shirts vom Joggen zurück. »Hey, Kleine!«, begrüßte er Erica, die in ihrer Schlafanzughose auf das riesige Wohnzimmersofa gekuschelt dasaß, und wuschelte ihr durch die blonden Haare. Jeremy, Steven und Kat setzten sich an den Tisch. Ich wählte einen Platz, der am weitesten weg von allen war, tat so, als wäre ich wahnsinnig damit beschäftigt, mein Brot zu toasten, und vermied es, irgendwem in die Augen zu sehen. Die Vordertür ging auf, und Ken und Anna kamen schweißüberströmt und herumalbernd hineingehüpft.
»Siehst du«, Annas Stimme dröhnte wie bei einer Durchsage, »hab ich dir doch gesagt, dass wir … noch ’ne Runde drehen können. « Sie boxte Ken spielerisch in die Rippen; ihre blauen Augen strahlten, und sie war nach dem Joggen noch ziemlich außer Atem. Ken hatte sich nach Luft ringend mit den Handflächen auf den Knien abgestützt. Anna ließ ihre eine Hand auf Kens Rücken sinken und mit einer Selbstverständlichkeit dort liegen, die ich in ihrer Freundschaft bis dahin noch nicht bemerkt hatte. Wie konnte ich nur jemals geglaubt haben, dass dieser Typ an mir interessiert sei? Von Anfang an war er einfach nur freundlich gewesen, und ich hatte mir die ganze Zeit sonst was eingebildet. Ich fühlte mich wie eine Idiotin.
Kens Mom stellte ein Körbchen auf den Tisch, das bis zum Rand mit Backwaren gefüllt war: mit Zucker bestreute goldbraune Muffins, leckere Plunderstücke, mit Rosinen und Mohn gespickte Bagels. Es sah aus wie in der Werbung, und der Anblick versetzte mir fast einen Schock. Ich starrte ungläubig auf dieses Angebot – noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich Zugriff auf einen derartig randvollen Korb mit süßen Teilchen gehabt. Auf dem Herd hinter uns schlug Kens Dad ein Ei an der Kante der Pfanne auf. Eine volle Karaffe Orangensaft stand noch unangetastet auf dem Tisch. Steven und Kat fingen an, Frischkäse auf ihre Bagels zu streichen. Ken griff nach einem Teller und stellte ihn vor Anna ab.
»Hier, bitte sehr «, sagte er und deutete auf sie, »ich glaube, diese Wette habe ich verloren, und jetzt schulde ich dir ein Frühstück.« Anna strahlte ihn an und spielte mit einer Haarsträhne, während er ihr aus dem schweren Glaskrug Saft einschenkte. Das hier war eine Ausgabe der Satiresendung Saturday Night Live , und das
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