Als der Tag begann
dem eine ausgemergelte und zu Tode erschrockene Menschenansammlung durch einen Wald irrte.
»Du bist echt lustig«, sagte ich ihr, als sie uns spätabends noch ein Abendessen servierte, zwei Teller voll Farfalle mit Erbsen und Karotten in Sahnesoße. Eva brachte mich ständig zum Lachen; sie war wahnsinnig verständnisvoll, und man konnte sich toll mit ihr unterhalten. Ich mochte sie vom ersten Moment an, als ich sie in Jessies Kurs kennengelernt hatte.
Eva wurde meine erste richtige Freundin an der Prep . Aus unseren kurzen Unterhaltungen nach dem Unterricht waren gemeinsame Mittagspausen auf den Sandsteintreppenstufen der Häuser in Chelsea geworden, die sich ausweiteten zu Besuchen in ihrer Wohnung, bis ich irgendwann bei ihr übernachtete. Wir wurden schnell enge Freundinnen. Ich schilderte Eva eine redigierte Version
meiner Situation und behielt das ganze Ausmaß noch für mich, bis ich noch mehr Zutrauen zu ihr haben würde. Ohne mir jemals laut und deutlich Hilfe anzubieten, half sie mir einfach. Dutzende Male schlief ich bei ihr oder vertrieb mir in ihrer Wohnung die Zeit. Eva kochte immer irgendetwas, lieh mir Anziehsachen, ließ mich duschen. Oft teilte sie mit mir ihr Lunchpaket in der Pause, und sie zeigte mir nicht ein einziges Mal, dass es ihr lästig war.
»Erinnert sich dein Dad noch an viele Dinge aus dem Krieg?« Ich saß im Schlafanzug bei ihr in der Küche. Mir fiel es immer leichter, über andere Leute zu reden. Und nachdem ich den Kurs Wir im Prisma der Weltgeschichte mit Caleb belegt hatte, wusste ich nun alles über Völkermord und den Holocaust. Es war ein gutes Gefühl, eine Unterhaltung mit etwas Selbstvertrauen führen zu können.
»Teilweise. Er war noch sehr klein, aber sein Vater war der Vorsitzende einer wichtigen jüdischen Organisation, also stammen die meisten seiner Erinnerungen aus der Zeit nach dem Krieg, als mein Großvater Überlebende in ihrem Wohnzimmer beriet. Mein Vater hörte alles mit, was ganz schön hart gewesen sein muss für so ein kleines Kind«, sagte sie.
Eva mochte Psychologie, und sie hatte eine Art, tief ins Innere der Menschen hineinblicken zu können; was man ihr erzählte, betrachtete sie immer unter dem Aspekt, Motivationen, Kämpfe und Bedürfnisse der betreffenden Person herauszuhören. »Ich glaube, seine Gemälde sind eine Art Selbsttherapie«, fuhr sie fort. »Nach einem so tief gehenden traumatischen Erlebnis musst du etwas tun, um Heilung zu erfahren. Etwas, das dem umfassenden Verlust eine Bedeutung gibt.«
Ich aß alles auf, was Eva mir auf den Teller geladen hatte, und gleich noch eine zweite Portion hinterher.
»Auf dem Sofa sind saubere Laken, Liz. Wann immer du müde bist, leg dich einfach schlafen.«
Von Eva fühlte ich mich hundertprozentig verstanden und umsorgt. Sie war zuverlässig, liebevoll und lustig. Ich freute mich jeden
Tag darauf, sie zu sehen, und ich wollte, dass sie für immer Teil meines Lebens war.
Manchmal kam ein anderer neuer Freund von der Prep mit zu ihr. Er hieß James und war mit uns zusammen im Geschichtskurs. James war über eins achtzig groß, halb Weißer, halb Schwarzer, mit wunderschöner karamellfarbener Haut, einem durchtrainierten muskulösen Körper und einer wüsten, voluminösen Afrofrisur. Er liebte alles Japanische und trug oft T-Shirts mit japanischen Schriftzeichen auf der Brust oder alte Kampfsporthemden aus seinen Kung-Fu-Kursen. Seine Kleidung war immer unordentlich, und er wirkte so treuherzig, dass ich unbedingt mit ihm befreundet sein wollte. Wir kamen ins Gespräch, als ein Lehrer unbewusst während seines Vortrags einen nervösen Tick offenbart hatte, indem er statt okay das Wort mmkay Dutzende Male in einer einzigen Stunde wiederholte. Das Ganze war so auffällig und lustig, dass ich mich nach weiteren Zeugen umblickte und James neben mir entdeckte, der ebenfalls sein Lachen unterdrückte. Ich schob ihm einen Zettel zu, auf dem »Matt sagt mmkay« stand und der ganze Rand mit Strichen in Fünferblöcken zum Zählen verziert war, insgesamt über hundert. Er brach mitten im Unterricht in schallendes Gelächter aus, und wir wurden aufgefordert, uns auseinanderzusetzen, grinsten dabei aber beide vor uns hin, genossen schweigend unseren Witz und warfen uns quer durchs Zimmer Blicke zu. Später sah ich ihn allein beim Mittagessen sitzen, und mir fiel Sam ein, wie sie damals in der Kantine aufgetaucht war. Ich nahm allen Mut zusammen, um schnurstracks auf ihn zuzugehen, und bohrte – platsch
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