Als der Tag begann
in
Bussen in den Norden der Stadt, um die Prep auf regionalen Konferenzen zu vertreten. Ich fing an, farbenfrohe Kleidung zu tragen, mir die Haare aus dem Gesicht heraus nach hinten zu binden und langsam sogar den Leuten in die Augen zu sehen. Ich lernte, dass meine Stimme zählte. Aber ich glaube, dass die Lehrer selbst meine wichtigste Lektion an der Prep waren. Meine Lehrer waren meine Vorbilder, und sie wurden für mich zum Kompass in einer ansonsten düsteren und unübersichtlichen Welt.
Eva und ich freundeten uns in der immer montags und mittwochs stattfindenden Naturwissenschaftsstunde an, die nach den Pflichtkursen abgehalten wurde und in der junge Leute Schüler im Rahmen der Peer Education zum Thema »Gesundheitsförderung« ausbildeten. Fünfzehn Schüler waren in dem Kurs eingeschrieben, vierzehn Mädchen und ein Junge, Jonathan, der uns allen versicherte, er sei vielmehr »eins von den Girls«. Der Kurs war einer mehr in meinem sowieso schon vollgestopften Stundenplan und einen ganzen Punkt wert, einen Punkt mehr hin zu den vierzig, die ich für die Verwirklichung meines Ziels, meinen Abschluss in zwei Jahren zu machen, benötigte.
Unsere Gruppe tagte in dem Büro von Jessie Klein, der Betreuungslehrerin; einige von uns hatten es sich auf einem Futon gemütlich gemacht, der Rest saß auf Metallstühlen, die wir uns aus einem anderen Klassenzimmer geholt hatten. Eine Frau namens Kate Barnhart nahm vor uns Platz. Sie war mollig, hatte lange rote Haare, die so kraus waren wie die einer Halloween-Perücke, und trug eine runde Brille. Ihre Jacke war aus vielfarbigem Patchworkstoff, wie ein alter Teppich, an den jemand mit großen Stichen Ärmel angenäht hatte. Sie lächelte viel und zeigte dabei ihre kleinen, perfekt gebleichten Zähne, und sie schien glücklich darüber, uns zu sehen, glücklich, uns unterrichten zu dürfen. Kate nahm an einem Programm namens CASES teil, in dem Jugendliche von Leuten, die innerhalb des Justizsystems arbeiten, als Peer Educators ausgebildet wurden, was bedeutete, dass sie Gleichaltrigen Infos
zum Thema HIV und Aids vermitteln konnten. Jessie übergab ihr das Wort.
Kate begann ihren Vortrag mit einer Frage: »Hat euch schon mal ein Typ gesagt, seiner sei zu groß für ein Kondom?« Der ganze Raum kicherte nervös los.
Jonathan rief laut: »Jawohl!«
»Danke, Jonathan«, sagte Kate, »wir wollen hier weiter Tacheles reden. Also, wer kennt das noch? Bitte hebt eure Hand.« Einige Mädchen taten ihr den Gefallen.
»Super«, sagte Kate, »das war erst der Anfang. Jetzt hebt eure Hand, wenn euch ein Typ schon mal blöd angemacht hat, weil ihr wolltet, dass er ein Kondom benutzt.«
Die Mehrzahl der Hände schoss in die Höhe, meine inklusive. Ich hatte manches Mal mit Carlos Streit bekommen, damit er eins nimmt, war aber davon ausgegangen, dass dieses Problem spezifisch für ihn war.
»Danke, Hände runter, Ladys und Jonathan.«
»Jawohl, Ma’am «, sagte er mit einer Frauenstimme und Südstaatenakzent und schnippte mit den Fingern. Die Girls fingen an zu lachen und klatschten ihn ab.
»Super, jetzt möchte ich, dass ihr euch das anseht.« Kate holte aus ihrer Tasche ein rotes Kondom hervor, riss die Packung auf und begann es mit dem Fingerspitzengefühl eines Pizzabäckers für seinen warmen Teig zu kneten und zu ziehen. Und während sie das Latex dehnte und dehnte, redete sie weiter.
»In diesem Kurs werdet ihr euch selbst dazu ausbilden, gleichaltrigen Jugendlichen alles über HIV und Aids und die Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten beizubringen.« Ziehen, dehnen, ziehen, dehnen. »Aber zuerst müsst ihr alles selbst begreifen und lernen, und dafür werden wir ein paar sehr drastische Dinge tun.«
Mit ihren zehn Fingern, die sie wie zu einem Fadenspiel gespreizt hochhielt, dehnte Kate die Spitze des Kondoms in eine absurde Breite aus. Dann versetzte sie der gesamten Klasse kollektiv
einen Schock, als sie es sich über den Kopf und die komplette Halloween-Frisur zog. Die Brille ließ sie außen vor, sie lag auf ihrem Schoß. Von unserem Gelächter untermalt, zog Kate so lange an dem Latexkondom, bis es eng auf ihrem Gesicht anlag und ihre Nase umschloss. Durch die Nasenlöcher blies sie Luft in das Kondom. Als das Ding wie ein Ballon zu einer ansehnlichen Größe über ihrem Kopf angeschwollen war, nahm sie eine Haarnadel – als hätte sie das schon eine Million Mal vorher gemacht –, griff nach oben und piekste mit einem kleinen Plop ein Loch hinein.
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