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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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Situationen: Etwas Entscheidendes stand auf dem Spiel, das Ergebnis war noch unbekannt, und es oblag mir, den Lauf der Dinge zu verändern. Genau wie in den Nächten in der University Avenue, als Ma und Daddy sich in Gefahr brachten, weil sie mitten in der Nacht das Haus verließen, während ich in Bereitschaft für den Notruf bei der Polizei am Fenster saß. Entschied mein Einsatz darüber, ob sie eine Verletzung erlitten oder ob es ihnen gut ging? Was wäre passiert, wenn ich als hungriges Kind keinen Job gefunden hätte? Wer hätte für mich gesorgt, wenn ich es nicht selbst getan hätte? Und jetzt, konfrontiert mit derselben quälenden Ungewissheit, im Schwebezustand auf der Warteliste, drängte sich mir wieder die Frage auf: Was wollte ich dagegen unternehmen?
    Von der Schule aus rief ich pünktlich jeden Freitag im Zulassungsbüro an und fragte nach, ob eine Entscheidung getroffen worden und, wenn ja, ob das Bestätigungsschreiben an mich unterwegs sei. Und jede Woche erhielt ich dieselbe Antwort: »Das Komitee hat seine endgültige Entscheidung noch nicht bekannt gegeben«, aber ich könne »gern jederzeit wieder anrufen«, und natürlich würde ich mit Sicherheit bald auf postalischem Weg eine Antwort erhalten.

    Bis die Rede eines Freitags anders klang. Auch wenn sie mir am Telefon keine genauen Angaben über den Zulassungsvorgang machen durfte, informierte mich eine Sekretärin darüber, dass tatsächlich eine Entscheidung gefallen und eine Antwortschreiben abgeschickt worden sei. Es sollte jeden Tag bei mir ankommen, falls es nicht schon in meinem Briefkasten läge. Ich legte auf und fing an, durch das Büro in der Prep zu tanzen; dann machte ich mich auf die Suche nach meinen Lehrern.
    Seit Monaten behämmerte ich sie nun schon mit meinen Fragen zu Harvard, und sie hatten mir gegenüber eine Engelsgeduld an den Tag gelegt. Calebs Vater war Professor dort, und zwangsläufig hatte er am meisten abbekommen. Mehr als ein Mal stellte ich den jungen Lehrer nach dem Unterricht in seinem Büro, unterbrach ihn bei der Arbeit und quetschte Informationen aus ihm heraus. Weiß Ihr Dad, nach welchen Kriterien das Komitee seine Entscheidungen trifft? Schaffen es Leute von der Warteliste jemals an die Uni? Perry war ein weiterer Kandidat, dem ich auf die Nerven ging. Durch seine Art, jedem aufmerksam zuzuhören und sich immer die Zeit zu nehmen, sorgfältig und ernsthaft auf alles einzugehen, war er meinem ständigen Frage- und Mitteilungsbedürfnis hilflos ausgeliefert. Rückblickend weiß ich nicht, wie meine Lehrer es mit mir ausgehalten haben, da ihre Rede, mir keine Sorgen zu machen, mich nicht von meiner Fragerei abbringen konnte.
    An diesem Nachmittag pilgerte ich mal wieder durch die Schule, um jemanden aufzutreiben, mit dem ich die gerade erlangte Neuigkeit teilen könnte. Die meisten Lehrer konnten von Glück sagen, dass sie gerade in einer Besprechung waren. Nur Perry war in seinem Büro greifbar, in demselben Büro, in dem er fast zwei Jahre zuvor das Gespräch mit mir geführt hatte, damals, als ich ihn als einen von »diesen Leuten« abgestempelt hatte – damals, als ich weder ihm noch sonst jemandem direkt in die Augen sehen konnte. Perry saß an seinem Schreibtisch und blickte mir freundlich und erwartungsvoll entgegen.

    »Gute Neuigkeiten, Perry, sie haben den Brief losgeschickt. Bald werde ich es wissen … Die Antwort liegt vielleicht schon im Briefkasten. «
    »Oh, endlich … Das ist gut«, sagte er und grinste mich amüsiert an. »Toll«, schob er noch nach. Und das war’s, mehr kam nicht. Ich hatte schon mit ein bisschen mehr Enthusiasmus gerechnet.
    »Das ist doch aufregend, oder?«
    »Ja, Liz, das ist aufregend«, antwortete er und lachte leise vor sich hin, und es wirkte auf mich eher süffisant als freundlich.
    »Ich meine, jetzt geht’s los «, insistierte ich, als wollte ich ihm meine Gefühle aufzwingen. »Jetzt ist es so weit … Bald weiß ich Bescheid.«
    Perrys Mimik, die mir mittlerweile durchaus vertraut war, ließ mich wissen, dass ich gleich einen guten Rat bekommen würde.
    »Was denn?« Nervös lächelte ich ihn an. »Sie haben diesen bestimmten Ausdruck im Gesicht.« Ich schätzte Perrys Meinung sehr, und wenn er einen Insiderwitz loswerden wollte, dann wollte ich den gern hören. Er beugte sich vor und sagte mit einem Achselzucken etwas, das mir nie mehr aus dem Kopf ging.
    »Es ist aufregend, Liz … Aber ich hoffe, du begreifst, dass du, egal, auf welche Schule du gehst,

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