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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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spielten Lisa, Stephanie und ich zusammen und sahen uns Zeichentrickfilme an, während Ma und Tara sich in der Küche zudröhnten. Die Geräusche, die sie bei den Vorbereitungen zum Drogenkonsum machten, so wurde mir klar, unterschieden sich von der Art, wie Ma und Daddy klangen; Tara hielt die ganze Zeit ein Gespräch am Laufen. Davor hatte ich immer angenommen, es gäbe technische Gründe dafür, warum Ma und Daddy so still waren. Wenn ich jetzt Ma und Tara zuhörte, merkte ich, dass dem nicht so war, und ich fragte mich, ob sich
Ma und Daddy tatsächlich so nahestanden, wie ich es immer geglaubt hatte.
    In ihrer gemeinsam verbrachten Zeit umkreisten Ma und Tara drei Gesprächsthemen: Stephanies Vater, die Qualität ihres Briefcheninhalts und ihre jeweils gewählte Methode, high zu werden. Tara schnupfte das Kokain; ich fand heraus, dass die meisten Leute es so machten. Ma und Daddy waren da anders. Ich hörte, wie Ma sich fast jedes Mal rechtfertigte, wenn Tara ihr beim Gebrauch der Spritze zusehen musste.
    »Du meine Güte, Jeanie, wie kannst du dir das bloß antun?«
    »Immer noch besser, als dass das Pulver dir die Nase in Stücke fetzt. Glaubst du, ich will da oben ohne Knorpel rumlaufen, wenn ich fünfzig bin?«, erwiderte Ma.
    »Wie auch immer, Jeanie, er glaubt, ein Kind großzuziehen ist so einfach wie das Schicken eines Schecks, wenn dir mal gerade danach ist, was er, habe ich das schon erwähnt, sowieso nie macht. Na ja, es steckt noch viel mehr dahinter, wie du weißt.«
    Ich fand heraus, dass Ma in Gesellschaft neuer Leute keine gute Gesprächspartnerin war, zumindest nicht, wenn sie high wurde.
    »Ich weiß« war normalerweise alles, was sie darauf antwortete, aber das war auch alles, was Tara brauchte, um weiterzureden.
    »Also, der wird sich umgucken, wenn ich ihn bis auf den letzten Cent verklage. Dieser Großkotz, damit wird er nicht durchkommen«, behauptete sie und reckte zwei Finger, zwischen die eine Zigarette geklemmt war, anklagend nach vorn.
    Wie sich herausstellte, hatten Ma und Tara vieles gemeinsam. Sie hatten beide Gewalt und Missbrauch durch den Vater erfahren und waren ohne ihn aufgewachsen; sie hatten Kinder bekommen, bevor sie selbst dazu bereit waren, und sie lebten beide von staatlicher Unterstützung. Von allen Drogen bevorzugten sie beide den Rausch durch Kokain. Nur in einem Punkt unterschieden sie sich – in den Methoden, die sie anwendeten, um ihre Sucht zu befriedigen. Tara schnappte dramatisch nach Luft, als sie Ma zuhörte, die sich darüber ausließ, wie sehr sie es hasste, jeden Monat auf
die Sozialhilfe zu warten, und wie viel einfacher es doch irgendwie war, die Typen in der Kneipe anzuhauen oder Leute auf der Straße nach Bargeld zu fragen.
    »Wenigstens weiß ich, dass ich nicht warten muss, wenn ich da draußen bin. Ich hasse es zu warten«, sagte Ma.
    Tara bezeichnete Mas Schnorren als Betteln und sagte, das sei unter ihrer beider Würde. Doch Ma pfiff auf ihren Stolz, wenn sie high werden wollte.
    »O nein, Jeanie, das müssen wir dir abgewöhnen. Du solltest Ron kennenlernen«, sagte sie zu Ma. »Er kümmert sich um mich. Und wahrscheinlich hilft er dir auch. Kein Betteln mehr. Das bringt nichts Gutes«, sagte sie beharrlich.
    Wir trafen uns mit Ron, alle zusammen, gleich am nächsten Sonntag. Er war ein älterer Mann, Mitte sechzig, sehr dünn, blass, mit großen braunen Augen. Sein Jackett war spatzenbraun, Flicken bedeckten die Ellbogen. Beim Reden mit Kindern verwendete er eine besondere Stimmlage.
    »Ach, hallo, ihr hübschen kleinen Damen. Und wie geht’s uns allen heute?«, sagte er, als wir aufgereiht auf Taras Sofa saßen. Die frühe Nachmittagssonne blitzte durch die Vorhänge hindurch.
    Stephanie stand auf, um sein Bein zu tätscheln. Lisa und ich waren ein bisschen schüchterner, also hielten wir uns zurück. Er versuchte uns mit Süßigkeiten für sich zu gewinnen. Ich ergatterte drei Karamellbonbons aus seiner Hand und wickelte ganz schnell eins aus dem Papier. Er lächelte und tätschelte mir den Kopf.
    »So ein braves Mädchen«, sagte er.
    Lisa blieb still und hielt ihr Bonbon in der Hand, bis Ron zurück in die Küche ging. Auf seinem Weg hinaus winkte er ihr zu. Sie drehte sich zu mir.
    »Iss den Scheiß bloß nicht.« Sie schlug mir das Bonbon aus der Hand.
    »Warum nicht?«, quengelte ich.
    »Weil wir ihn nicht kennen, darum.«
    »Du machst alles kaputt!«, schrie ich sie an.

    Lisa konnte Ron von Anfang an nicht leiden. »Er ist ein

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