Als der Tag begann
Raus aus dem Wasser, sonst werden sie nicht wirklich sauber.«
Auf seine Anweisung hin hielten Lisa und ich unsere Füße, Knöchel, Waden und Oberschenkel übers Wasser, um alles gewissenhaft abzuschrubben.
»Also, der Intimbereich ist bei euch am schwierigsten sauber zu halten, deshalb ist es notwendig, dass ihr euch nach vorn reckt und jede Spalte wascht.«
»Wie?«, fragte ich.
»Los, erhebt euch und stützt euch mit beiden Händen am Badewannenrand ab«, sagte er ungeduldig.
»Ich weiß, wie man ein Bad nimmt«, sagte Lisa mürrisch. »Du musst uns dabei nicht beaufsichtigen.« Ron schluckte schwer, und sein Blick schoss im Zimmer umher; zum ersten Mal hatte er ihn von uns abgewandt.
Ich hatte meinen Schritt bereits aus dem Wasser gehievt und war dabei, mich zu waschen, als Lisa Einwände erhob. In gewisser Hinsicht wunderte ich mich, warum Lisa nicht bereits früher etwas gesagt hatte. Ich hatte ihre Wut schon fühlen können, als er uns zunächst nur dazu gebracht hatte, in die Wanne zu steigen.
»Lisa, ich will ja nur ganz sichergehen«, sagte er vorsichtig. »Liz weiß das doch auch, nicht wahr?«
Ich wusste nichts, außer dass Lisa wahnsinnig wütend war. Ma war immer noch nicht zurück, und die Art, wie er mich weiterhin anstarrte, machte mich langsam nervös.
»Raus hier! Wir kommen gut allein klar!«, schrie Lisa plötzlich los.
»Also gut. Ich nehme mal an, die große Schwester passt auf, dass hier alles sorgfältig erledigt wird.« Ron trat den Rückzug an.
»Verdammt noch mal raus hier !«, schrie sie.
Damit schloss er die Tür hinter sich. Lisa und ich stiegen aus der Wanne und zogen uns schweigend an.
Fünf Wochen später hatte Ma ihren ersten psychischen Aussetzer in mehr als sechs Jahren, und Lisa und ich wurden in einer Nacht, an die ich mich nur bruchstückhaft erinnere, für Untersuchungen ins Amt für Familie und Jugend verfrachtet.
Flach auf dem Rücken ausgestreckt, beobachtete ich den Arzt dabei, wie er einen Latexhandschuh aus einer Box nahm – einen, nicht zwei. Es gab ein schnalzendes Geräusch, als er ihn sich überzog. Ich hatte noch nie zuvor gesehen, dass jemand nur einen Handschuh trug. Ich wollte ihm gerade sagen, dass er den anderen
vergessen hatte. Aber bevor ich die Gelegenheit dazu hatte, wandte er sich um und redete mit einer blonden Frau. Ich konnte nicht an ihnen vorbei Richtung Tresen schauen, wo sie mit irgendetwas herumhantierten. Ich sah nur ihre weißen Uniformen, die weißen Wände und die weißen Zettel, die den Tresen bedeckten und auf denen auch mein Name stand – Elizabeth Murray – und daneben mein Geburtsdatum, 23. September 1980. Ich bin sechs Jahre alt, dachte ich, stolz auf meine schnellen Rechenkünste. Elizabeth, nicht Lizzy. Nein, hier heiße ich Elizabeth.
»Elizabeth, hast du Hunger? Hast du heute schon etwas gegessen? Möchtest du etwas Suppe, ein Sandwich? Elizabeth, du kannst es uns ruhig sagen, Schätzchen, berührt dein Vater dich?«
Es war bereits eine lange Nacht gewesen; und die Wochen, die auf diese eine Nacht zuliefen, hatten sogar noch viel länger gewirkt. Ma war nicht mehr sie selbst gewesen. Mit Heulkrämpfen fing es an. Grundlos schrie sie Anschuldigungen in die Luft oder bedrohte irgendwen: »Nimm deine Hände weg! Ich bring dich um!«
Dann hörte sie eines Tages einfach damit auf, packte all diese Schreie und Tränen in ihren knöchellangen Daunenmantel, in dem sie lebte, als einziger Bewohner irgendeiner weit entfernten Welt. Wenn man versuchte, mit Ma zu sprechen, schlug sie den Kragen mit ihren dünnen Fingern hektisch nach oben. Ihre Augen verengten sich, eine unbedingt zu beachtende Warnung. Sie erkannte keinen mehr von uns.
Als die Polizei kam, um sie in den Notarztwagen einzuladen, dachte sie, die wollten ihr den Mantel wegnehmen. Der Kampf dauerte nicht lange, nicht mehr als zwei gezielt gesetzte Schläge – eine Demonstration des Polizeischultrainings. Der Flur unseres Wohnhauses füllte sich mit ihren gespenstischen Hilferufen. Die Türen der Nachbarn, von dem unmittelbar neben uns bis zu dem, der am weitesten weg wohnte, gingen knarzend auf. Kurz darauf, als sich das Chaos vor ihren Fenstern auf der Straße abspielte, schnappten die Schlösser auf dieselbe Art und Weise wieder zu.
»Der Doktor wird gleich lediglich einen Test machen. Okay, Elizabeth? Es tut nicht weh; es ist nur ein bisschen unangenehm. Halte still und sei ein braves Mädchen, okay?«
Ein Zusammenbruch, ich hörte es jemanden so
Weitere Kostenlose Bücher