Als der Tag begann
Ihre Beziehung schien sich zu einem Zeitpunkt zu verschlechtern, als Ma ihre längste psychisch stabile Phase der letzten vier Jahre hatte. Der Absturz dauerte dann so lange, dass er sich nicht nur endgültig anfühlte, sondern mich auch über meine Liebe zu Ma nachdenken ließ. Ich ertappte mich dabei, mir fast täglich zu wünschen, sie möge doch den Verstand verlieren und eingewiesen werden, damit etwas, irgendetwas , diesen Nebel lichtete, der sich über uns gelegt hatte.
Es war der Sommer, bevor ich zehn Jahre alt wurde, als Ma und
Daddy, nach einer den ganzen Juni andauernden Reihe von Schreiereien und manchmal gewalttätigen Streits, meistens angezettelt von Ma, getrennt zu schlafen begannen. In ihren letzten Streitereien ging es hauptsächlich um vage Verdächtigungen, die Ma gegen Daddy hegte, und sie erklärte ihn dann für »zu verdammt noch mal nichts nutze«.
»Es liegt nur an ihm «, verkündete sie. »Er ist hinterhältig .«
Obwohl Mas Ärzte ihre Genesung nach jedem Zusammenbruch für »vollständig« hielten, so hatte Ma seit den letzten drei Entlassungen die irrationale, vage, aber beständige Vorstellung, Daddy habe etwas »Heimlichtuerisches« an sich.
»Das liegt in seinem Charakter, Lizzy. Das verstehst du erst, wenn du älter bist.«
Anders als bei vielen Dingen, die Mas Verstand wegen ihrer Krankheit produzierte, fragte sich ein Teil von mir diesmal, ob sie unabhängig davon nicht doch Grund hatte, Daddy zu misstrauen. Wenn Ma zu einer ihrer Tiraden gegen ihn ansetzte, verteidigte ich ihn, aber ein Teil von mir dachte dabei an die ganze Zeit, die er ohne eine Erklärung, wo er gewesen war, außerhalb der Wohnung verbrachte. Und manchmal tauchte dann diese eine verschwommene Erinnerung an Daddy wieder auf.
In dieser Erinnerung war ich vielleicht sechs Jahre alt und Lisa ungefähr acht. Daddy spazierte mit uns eine Straße in Manhattan entlang, und ich erkannte, dass wir zu einem Park gingen. Als wir uns dem Park näherten, ließ Daddy meine Hand los und schubste mich gegen Lisa. Ich erinnere mich daran, dass er etwas an sich hatte, was mich beunruhigte.
»Geh mit Lisa, Lizzy. Sie nimmt dich mit zu Meredith.«
Ich wunderte mich, wohin wir gingen und warum Daddy uns nicht in den Park begleitete. Mit meiner freien Hand griff ich nach ihm, aber Daddy zuckte zurück. Seine Hände zitterten.
»Los, komm, Liz«, sagte Lisa und zerrte an meiner Hand. »Wir gehen zu Meredith. Sie ist da drüben.«
Ein Mädchen im Teenageralter stand gegenüber auf der Straße
an einem Weg, der in den Park führte. Sie hatte braune Haare und winkte uns zu. Sie lächelte auf eine Art, die besagte, dass wir uns kannten. Jahre später würde Lisa diese Erinnerung bestätigen und mir erzählen, dass Daddy, bevor er Ma traf, bereits eine andere Tochter hatte. Wir hatten eine Schwester namens Meredith. Daddy hatte sie verlassen, als sie gerade zwei Jahre alt war.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Daddy zu Hause oder in Mas Gegenwart jemals über Meredith gesprochen hätte. Sie kam nie zu Besuch. Manchmal fühlte es sich an, als hätte ich mir die Erinnerung an sie ausgedacht, aber ich wusste, dass es nicht so war. Ab und zu redeten Lisa und ich darüber, dass wir Meredith gern wiedersehen und unsere große Schwester besser kennenlernen wollten. Und die viele Zeit, die Daddy außer Haus verbrachte, brachte mich dazu, mir zu überlegen, was ich noch alles nicht über ihn wusste. Als Resultat des Ganzen fand ich Daddy ein wenig mysteriös.
Egal ob Daddys Geheimnistuerei der tatsächliche Grund war, Ma jedenfalls war oft wütend und argwöhnisch, und sie hielt damit nicht hinterm Berg, sie schrie ihn an und provozierte Streits. Daddy war da lockerer; Mas Ausbrüche waren ihm gleichgültig geworden. »Man erträgt es so lange, bis man abschaltet«, erklärte er mir, eine Haltung, die Mas Misstrauen und Wut nur noch verstärkte. Es war keine große Überraschung, als sie letztendlich ganz und gar aufhörten, als Paar zu funktionieren.
In gewisser Weise fühlte sich Mas Umzug aufs Sofa schon längst überfällig an.
Im Wohnzimmer breitete sich durch Mas verstreut herumliegende Sachen eine Schlafzimmeratmosphäre aus; Zigaretten, Streichhölzer, Schlüssel und Unterwäsche übersäten den Couchtisch, neben alten Zeitschriften und Essensresten, die auf einem schnell anwachsenden Stapel von Tellern klebten, der seinerseits von einem allgegenwärtigen Fliegenschwarm umrundet wurde. Tagsüber, während sie schlief
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