Als der Tag begann
psychiatrischen Abteilung des North Central Bronx Hospitals schien Ma bereit für ein gesundes, drogenfreies Leben: runder um Oberschenkel und Taille, die dunklen Ringe unter ihren Augen waren verschwunden, und ihr wunderschönes schwarzes Haar war wieder glänzend und voll. Sie ging regelmäßig zu den Narcotics Anonymous, einer Selbsthilfegruppe, und in den kommenden Wochen füllte sich die kristallene Schmuckdose von Daddy mit lebensbejahenden Häufchen von NA-Schlüsselanhängern in Regenbogenfarben, die Mas Weg hin zu Abstinenz in Einheiten von einem Tag, einer Woche oder einem Monat ohne Drogen markierten. Allerdings schien das Anwachsen dieser Häufchen immer irgendwann zu stocken.
So unvermeidlich wie der Wechsel der Jahreszeiten begann Ma dann, Zeichen eines weiteren nahenden Anfalls zu offenbaren, und es fing an mit ihrem Fernbleiben bei den NA-Meetings. Sie
trödelte zu lange im Wohnzimmer herum, zappte bis sechs Uhr abends durch die Kanäle und ging dann weg; erst verpasste sie ein, dann zwei, dann drei Treffen, und wenn dann der Sozialhilfescheck ankam, verschwand sie zu einem einwöchigen Drogengelage, nach dem wir wieder pleite waren. Danach schlief sie sich tagelang aus, während das Telefon unermüdlich mit unbeantworteten Anrufen ihres NA-Sponsors durchklingelte. Wie sich herausstellte, hatte das Kokain negative Auswirkungen auf Mas von der Klinik verordnete medikamentöse Behandlung, und ein richtiger Drogenrausch brachte sie schnurstracks wieder in die Psychiatrie, wonach es an Daddy war, als Vollzeitalleinerziehender einzuspringen.
Daddy zeigte sich der Situation gewachsen. Genau wie Ma es einfacher gefunden hatte, unsere Finanzen zu regeln, als Daddy im Gefängnis war, war Daddy anscheinend in der Lage, unser Sozialhilfemonatseinkommen auf eine Art und Weise zu strecken, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Einigermaßen erleichtert, aber auch gekränkt, fand ich heraus, dass wir zu dritt einen ganzen Monat lang abends richtig essen konnten und meistens auch noch tagsüber etwas hatten, und das mit demselben Scheck, den Ma und Daddy, wie ich jahrelang beobachten konnte, innerhalb weniger Tage nach seiner Ankunft verprasst hatten. Wäre es möglich gewesen, uns die ganze Zeit so gut zu ernähren? Die Melodien seiner Lieblingsoldies vor sich hinsummend, verbrachte Daddy die Abende schwitzend vor dem Herd und bereitete Steaks für zwei Dollar zu, mit Kartoffelbrei oder Nudeln als Beilage. An den zwei Tagen, die wir Ma besuchten, gab Daddy jeder von uns vier Vierteldollarmünzen. Die Hälfte davon sparte ich immer in meinem Pu-der-Bär-Sparschwein, gar nicht mal für irgendwelche zukünftigen Anschaffungen, sondern für das Gefühl, mit meinen Händen durch den wachsenden Haufen Geldmünzen zu wühlen und zu wissen, dass alles mir gehörte. Gegen Ende dieser vierjährigen Zeitspanne von Mas Krankenhausaufenthalten stellte ich fest, dass ich die Dauer ihrer Abwesenheit in Vierteldollarmünzen
messen konnte. Mitte des Jahres 1990 hatte ich, und das nicht zum ersten Mal, über zwanzig Dollar in Kleingeld gespart, bevor Ma meine Ersparnisse fand und mir wegnahm. »Verrückte Quarters« hatte ich sie wegen Mas Verrücktheit getauft. Daddy hatte damals auch mehr Geld, weil er seine Drogen, wenn Ma weg war, zurückhaltender konsumierte, nicht mehr als sieben- oder achtmal die Woche. Während ihrer Abwesenheit gab es keine aufeinanderfolgenden Drogenausflüge mehr. Daddy schien fast zufrieden darüber, den Rest der Zeit drogenfrei zu sein.
Und schließlich gab es da noch die kurze Zeitspanne nach Mas Heimkehr, bevor sie beide wieder voll in ihren Drogenkonsum einstiegen, wenn sie gleichzeitig fast-clean waren. Wir sahen dann zu viert Filme im Loew’s Paradise Theater an, Ma flocht mir Zöpfe, Daddy organisierte Gänge in die Bibliothek, unser Teppich wurde gesaugt.
Trotzdem wusste ich, dass Ma und Daddy wie ein Pendel entweder ganz auf der einen Seite – gesellig, zugänglich – oder auf dem Weg zur anderen Seite waren – distanziert, in jeder Hinsicht unerreichbar. Es war ein unaufhörliches Vor und Zurück, und der Impuls zum Umschwung wurde durch die unterschiedlichen Stadien von Mas Geisteskrankheit gegeben. Bis sie dann im Sommer 1990 das Muster durchbrachen und eine Phase zu Ende ging, die gekennzeichnet war durch alarmierende acht Monate ihres schlimmsten Drogenmissbrauchs aller Zeiten. Das Ganze überschnitt sich, nicht zufällig, mit dem absoluten Tiefpunkt ihrer schwierigen Ehe.
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