Als der Tag begann
Haare zwischen meinen Fingern, die Bestärkung durch ihre Hand, die die meine hielt. Als der Arzt den warmen Lichtkegel einer Lampe auf mich richtete, sehnte ich mich am allermeisten nach Geborgenheit, danach, dass alles wieder so wurde, wie es gewesen war. Hätte ich ihr doch nur früher davon erzählt.
Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, als der Arzt seine Untersuchung an einer Stelle begann, von der Ma und Daddy mir gesagt hatten, dass mich dort niemand berühren sollte, eine Stelle, an der ich mich selbst noch nie berührt hatte. Eine Stelle – selbst wenn es niemand glauben wollte –, an der mich Daddy niemals berührt hatte.
Ich spürte, wie mich eine Metallstange schier auseinanderriss. Ich brachte nur ein sehr schwaches Wimmern zustande, als seine Finger in mich eindrangen. Der Übergriff des Arztes löste einen dumpfen Schmerz aus, durch den sich mein Rücken wölbte. Die künstlichen Fingernägel der Krankenschwester taten mir weh, als sie meine Schienbeine festhielt. Tränen schossen mir in die Augen.
»Das war’s, Elizabeth. Wir warten draußen. Du kannst dich wieder anziehen, Schätzchen.«
Höllische Schmerzen breiteten sich pochend immer weiter in meinem Unterleib aus. Ich kletterte langsam und vorsichtig von dem Tisch, mit einer glänzenden Blutspur unter mir, die meinen Oberschenkel einfärbte.
Irgendwo, in einem Zimmer ganz in der Nähe, erduldete meine Schwester genau dasselbe.
Ich hievte mich mit eigener Kraft zurück auf das laut raschelnde Papier und rollte mich wie ein Embryo zusammen. Zu meinem Entsetzen quoll das Blut aus einer bedrohlichen, roten Spalte zwischen meinen Beinen. Angst schnürte meine Brust ein. Mein Blick raste durch das leere Zimmer auf der Suche nach etwas, mit dem ich das Loch verbinden konnte. Hektisch zupfte ich ein paar Gazepads aus einer blau-weißen Schachtel. Mein Zittern wich panischem Schluchzen.
Tränen benetzten das papierne Krankenhemd, und die feuchten Stellen dehnten sich aus. Ich weinte zur Decke hingewandt und presste die Gaze fest auf meine Wunde, außerstande mir vorzustellen, dass ich jemals wieder normal fühlen würde.
3
Tsunami-Wetterlage
Nach ihrem Zusammenbruch 1986 erwies sich Mas psychische Erkrankung als weit bedrohlicher, als es irgendwer von uns erwartet hatte. Alles in allem erlitt Ma sechs Schizophrenieschübe in nur vier Jahren, und jeder davon führte dazu, dass sie nicht weniger als vier Wochen und nicht länger als drei Monate eingewiesen wurde. Mas Anfälle waren schrecklich, wegen der Art, wie sie dadurch verändert wurde, und wegen der quälenden Bilder, die ihre Anfälle vor mir in Szene setzten.
Ma im Gespräch mit Personen, die über unseren Fernsehbildschirm flackerten, die uniformierten Polizeibeamten, die man zu uns ins Wohnzimmer geschickt hatte, um sie abzuholen, und die zwischen unseren Möbeln herumstanden, ihre Stiefel auf unserem Teppich, ihre krächzenden, fest an diese martialischen Ledergürtel geklemmten Walkie-Talkies. Zusammengerollt auf unserem Sofa, zog ich wieder und wieder ein Stückchen Saum meines rosafarbenen Nachthemds durch die Finger und sah dabei zu, wie sie Mas Handgelenke für die Handschellen zusammenführten, da sie nie freiwillig mitging.
Die beigefarbenen Fliesen des Schmutz abweisenden Bodens in der Psychiatrie. Mas Leben, das unkomplizierter wurde, Ma in dem ihr zugewiesenen Zimmer mit einem Bett zum Schlafen,
einem quadratischen Abteil für die »persönlichen Bedürfnisse«, einem Becken zum Waschen. Mas große, ausdruckslose Augen, der flackernde Blick, die Pupillen so weit wie zwei gekochte Eier, die geradeaus ins Nichts starrten.
Mas Drogenkonsum hatte sich im Lauf der Zeit verdoppelt und verdreifacht. Ihre Sucht trat jetzt überall zutage, von ihrer verminderten Fähigkeit, ganze Sätze zu bilden bis hin zu der überstrapazierten Stelle auf ihrem Unterarm, die dauernd entzündet und so dunkel und rau war wie eine rissige Pflaume. Meine Meinung über ihre Aufenthalte in der Psychiatrie änderte sich langsam. Solange sie noch dazu in der Lage war, würde Ma sich zudröhnen; die Zusammenbrüche waren das Einzige, was sie davon abhielt.
Die Plakate in der Schule nannten Drogenmissbrauch eine langsame Art des Selbstmords. Angesichts des vorgelegten Tempos gewann ich allmählich den Eindruck, dass nur die Psychiatrie Ma davor bewahrte. Und mit jeder Einweisung ins Krankenhaus kam die Hoffnung, wie vergeblich auch immer, sie könnte clean bleiben.
Bei jeder Heimkehr aus der
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