Als der Tag begann
informierte uns Kevin, war die Selbstbedienungstankstelle gleich hinter dem Zoo der Bronx, wo die Fordham Road in den Highway gabelte. Dort konnten wir Kunden auflauern und ihnen anbieten, ihr Auto zu betanken, und auf ein Trinkgeld hoffen.
Kevin bereitete uns die gesamte Busfahrt lang vor. Ich nickte und hörte schweigend zu, in der Hoffnung, mein Zögern zu überspielen. Als mir klar wurde, dass Kevins »Job« eher halblegal als seriös war, machte der Hunger in meinen Eingeweiden Platz für
Angst. Aber ich verzog keine Miene, schluckte meine Bedenken hinunter und hörte Kevins Ratschlägen zu, während der Bus die Fordham Road entlangtuckerte.
»Bleibt einfach stehen und schaut blöd aus der Wäsche, so als könntet ihr’s kaum glauben, dass sie überhaupt dran denken, euch kein Trinkgeld zu geben. Die sollen sich voll schäbig vorkommen. Dann geben die euch was, vor allem einem weißen Mädchen. Ihr Jungs werdet auch was abkriegen, es reicht für alle. Schnappt euch einfach den Zapfhahn und lasst euch nicht abwimmeln.«
Es funktionierte tatsächlich. Am Anfang brauchte ich eine Weile, bis ich es draufhatte, den Zapfhahn in die Tanköffnung zu führen, ohne Benzin zu vergießen. Aber nach ein paar Stunden war ich ein Profi. Bis zum Anbruch der Dunkelheit hatte ich mehr als dreißig Dollar verdient, mehr Geld, als ich jemals in meinem Leben auf einmal besessen hatte. Zuerst war es nicht ganz einfach; die Angestellten der Tankstelle verließen gelegentlich ihren Posten in der Kabine aus Plexiglas, um uns zu verjagen. Sie sagten, wir würden das Gelände unbefugt betreten, und wollten die Polizei rufen. Aber wir waren vier und sie nur zwei; zusätzlich hatten wir dadurch einen Vorteil, dass immer nur einer der beiden die Kabine verlassen durfte. Und dank unseres Systems, dass jeder den anderen warnte, und unserer Übereinkunft, im Ernstfall für ein großes Durcheinander zu sorgen und in unterschiedliche Richtungen abzuhauen, bekamen sie uns nicht zu fassen. Es dauerte keine fünf Minuten, bis wir wieder auf der Lauer lagen. Kevin, bemerkte ich, zeigte ihnen den Stinkefinger, kaum dass sie ihn wieder aus der Kabine heraus anglotzten.
Die ersten Reaktionen der Autofahrer auf mein Ansinnen waren entmutigend, und mein Selbstvertrauen litt mit jeder Zurückweisung. Meine Stimme klang schüchtern und zittrig, und ich musste meine Anfrage mehrmals wiederholen, bevor sie verstanden, was ich wollte. »Du willst was machen?«, sagten sie. » Was ist mit meinem Benzin?« Oder, schlimmer noch, sie guckten einfach stumm verwirrt aus der Wäsche, bis ich den Mut aufbrachte, laut
und deutlich zu sprechen: »Darf ich Ihnen das Benzin einfüllen?« Während dieser zögerlichen Phase wurde ich mehr als ein Mal abgewiesen. Letztendlich begriff ich dann aber doch, dass ich selbstbewusst auftreten musste, und dadurch fiel es mir leichter, Mut zu fassen. Binnen Kurzem griff ich einfach nach dem Zapfhahn und sagte höflich lächelnd: »Lassen Sie mich das für Sie erledigen.« Das funktionierte fast jedes Mal.
Angespornt von dem Gefühl, mein eigenes Geld zu verdienen, blieb ich bis weit in den Nachmittag hinein, lange nachdem Kevin, Rick und Danny nach Hause gegangen waren. Ich gestand mir nur eine Unterbrechung zu, um mir ein Happy Meal aus dem McDonald’s in der Nähe zu kaufen. Beim Warten in der Schlange auf den Cheeseburger sabberte ich fast; ich verschlang ihn mit ein paar Bissen auf dem Rückweg zu den Zapfsäulen und leckte mir die Finger sauber. Es war eines der köstlichsten Essen, das ich je zu mir genommen hatte. Meine Bauchschmerzen klangen endlich ab, und ich ging wieder an die Arbeit und blieb stundenlang an der Tankstelle, bis der Himmel sich saphirblau verfärbte und eine nächtliche Brise mir Gänsehaut auf Armen und Beinen verursachte. Schließlich ging ich zurück zur Bushaltestelle und fuhr nach Hause. Während der gesamten Schwarzfahrtour lief mein Gehirn auf Hochtouren. Ich spulte den Tag immer wieder ab und dachte dabei an die vielen neuen Möglichkeiten, die sich mir durch mein selbst verdientes Geld boten. Diese ungewohnte Erfahrung versetzte mich in Hochstimmung.
Es kam mir der Gedanke, Kevin habe uns vielleicht nur mitgenommen, um das einzige Problem zu lösen, das er allein nicht bewältigen konnte – die Jagd der Tankstellenleute auf ihn. Seit er uns als Wachposten hatte, war es Kevin möglich, den ganzen Tag über ohne Unterbrechung viel Geld zu verdienen. Wir arbeiteten diesen einen Tag im Team
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